Jökull - 01.12.1970, Blaðsíða 47
Beobachtungen in den Gletschervorfeldern des Sólheima-
und Síðujökull im Sommer 1970
KURT JAKSCH1)
Seit 1950 bietet sich durch die von R. Beschel
entwickelte Lichenometrie eine zusatzliche
Möglichkeit, Moránen historischer Gletscher-
vorstöiJe zu datieren (Beschel 1950 und 1957).
Diese Methode zieht hauptsáchlich die auf Sili-
katgesteinen vorkommenden griinen bzw. gelb-
griinen „Landkartenflechten", im wesentlichen
Rhizocarpon geographicum sens. lat., heran.
Dabei wird aus dem Maximaldurchmesser die-
ser Flechten auf das Alter der Substratfláche
geschlossen. Obwohl auch Einwánde gegen
diese Datierungsmethode erhoben wurden (Jo-
chimsen 1966), zeigt doch die Praxis, dafi die
Altersbestimmung historischer Moránen mit
Hilfe des Flechtenbewuchses grundsátzlich
möglich ist. In den Alpen wird das Anwenden
dieser Methode daclurch erleichtert, daB die
Zeitpunkte der Gletschervorstöfíe ab 1600 im
wesentlichen bekannt sind.2) Aus den im Glet-
schervorfeld festgestellten Moránenwállen
braucht man also nicht auf zeitlich noch völlig
unbekannte GletschervorstöBe zu schliefien,
sondern man nimmt nur ein Einordnen in ein
bereits bekanntes Schema vor.
Ein besonderer Einwand, der gegen diese
Datierungsmethode erhoben wurde, besagt, dalj
durch GletschervorstöBe auch álterer Schutt
1) Anschrift des Verfassers: Dr. Kurt Jaksch,
FieberbrunnerstraUe 5 a, A-6380 St. Johann in
Tirol/Österreich.
2) Die grol3en Gletschervorstöfíe in histo-
rischer Zeit beginnen in den Alpen um 1600.
Seither sind VorstöBe um 1680, 1740, 1770 (bis
1780), 1820, 1850, 1890 und 1920 belegt. Mo-
ránen aus dem spáten 17. Jhdt. und aus dem
18. Jhdt. sind im allgem. weniger ausgeprágt,
da die spáteren Vorstöfie gröBer waren und
die álteren Moránenwálle beseitigten. Im Mit-
telalter war die Vergletscherung kleiner oder
zumindest zeitweise áhnlich der heutigen.
samt seinen Flechten in die jtingeren Moránen
gelangt und diese dann als viel álter eingestuft
werden, als sie wirklich sind. Das mag fur die
enggestaffelten, an steilen Talflanken entstan-
denen Ufermoránen gelten, trifft aber kaum fiir
Stirnmoránen zu, wie das beispielsweise die
Moránen des letzten alpinen GletschervorstoBes
(1920) erkennen lassen. Dabei wurde námlich
álterer Moránenschutt hinreichend von jún-
gerem úberdeckt. Sollte aber wirklich ein álterer
Gesteinsblock mit seinen Flechten in den jún-
geren Endmoránen sichtbar sein, so wúrde sich
dieser durch seine viel gröUeren Flechtendurch-
messer und auch durch seine Bewuchsdichte
deutlich abheben.
Gemessen werden auf den Moránen die maxi-
malen Flechtendurchmesser. Ihnen entspre-
chen bestimmte, schnellstes Wachstum bewir-
kende, Geschiebelagen. Dabei ist auch wesent-
lich, daB der durch den Gletscher bewegte und
abgelagerte Moránenschutt möglichst bald zur
Ruhe kommt. Bis zu einem gewissen Grad
kompensieren sich auch die Wirkungen der
einzelnen Standortfaktoren. So kann z.B. ge-
ringe Beleuchtung (Schattenwirkung) durch
gröBeren Wassergehalt der Flechten (geringere
Verdunstung der beschatteten Stellen) ausge-
glichen werden. Die Lage am höchsten Teil
des Moránenwalles bringt zwar sehr gute Be-
leuchtung mit sich, begúnstigt aber umgekehrt
auch das Austrocknen infolge der stárkeren
Windwirkung u.dgl.m.
Um die Geschwindigkeit des Flechtenwachs-
tums zu bestimmen, mússen altersmáfiig be-
kannte Substratfláchen auf ihren Flechtenbe-
wuchs hin untersucht werden. Dazu eignen
sich zeitlich bekannte Bergstúrze, Gletschervor-
stöfie, alte Grabsteine, Denkmáler u. s. w. In
Island kommen zwar auch die urkundlich er-
fafiten Lavaströme in Frage, doch bewit'kt das
poröse, löcherige Gestein unregelmáfiige Wachs-
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