Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1926, Blaðsíða 17
Ufer plumpsen sechs, sieben Seehunde in das kristallklare Wasser, kommen
dicht an unser Schiff. Schnell werden wir nun ausgebootet und an zwei
tranbespritzten Felsen klettem wir an Uand. In der Bucht ist eine Ab-
bruchstelle. Die Wand muB hier einmal eingestiirzt sein, und es ist ein
Steilhang aus feinem Tuff geblieben, an dem wir nun miihsam empor-
klimmen. Bei jedem Schritt gibt das Gestein nach und mtscht ab, auch der
Strandhafer kann es nicht halten, so arbeiten wir uns dann gegenseitig
helfend hocli. Dann ein kurzer Absatz, der sogenannte Gvendaraltari (Altar
des Bischof Guðmundur, dér die Insel weihte), an dem unser Wirt nieder-
kauert, um zu beten. Von hier aus fiihrt eine schwere eiseme Kette zur
Höhe, die sich an einer etwa 6 m hohen Brecciewand verdoppelt und so eine
bessere Möglichkeit zum Klettern gibt. Es war fiir uns ziemlich schwierig,
uns an der Kette hochzuziehen, denn wenn 12 Mann daran klettem, so
schwankt sie máchtig und der Boden gibt bei jedem Schritt sofort nach.
Na, nach einer Dreiviertelstunde hatten wir es geschafft und standen nun
auf dem Plateau, das mit dem fettsten Gras bewachsen war, das wir iiber-
haupt in Island fanden. Zunáchst verschafften wir uns einen Uberblick
iiber die Insel. Sie mag etwa 300 m lang und 100—150 m breit sein und be-
steht aus Tuff und Breccie. Aus ihrer ganzen Eage im Fjord und der Eage
der beiden Felsen Karl und Kerling ist zu schliefien, daB die Insel mit dem
Festland zusammenhing, und zwar einerseits mit dem Fjordende, denn dahin
weisen die Felsen und die Meerestiefe, und anderseits mit der Westkiiste,
die ebenfalls aus Konglomeratbildungen besteht. Mit Þórðarhöfði bestand
wohl kaum ein Zusammenhang, dazwischen hat sich wahrscheinlich der
FluB hingezogen und spáter der Gletscher, eine Theorie, die wir bei Tho-
roddsen bestátigt fanden. Die Bucht, in der wir gelandet waren (Aufgangs-
bucht), bildet einHufeisen, und die Besteigung der Insel ist nur von dieser
Stelle aus möglich. In friiheren Zeiten wird es diese Bucht nicht gegeben
haben, denn in der Grettirsaga wird berichtet, daB eine Besteigung ,,ohne
Leitern“ unmöglich gewesen sei. Leitern wáren aber jetzt völlig unange-
bracht, und daher behauptete ich oben, daB die Bucht eine Abbruchstelle
sei, worauf ja auch die Hufeisenform hinweist. Auch andere Berichte deuten
darauf hin, daB die Insel fruher sehr viel gröBer gewesen ist, so heiBt es
z. B., daB frúher 200 Schafe Futter fanden, was jetzt unmöglich wáre.
Ob zu Grettirs Zeiten Karl und Kerling schon existierten, oder ob damals
die Insel noch beide Felsen umfaBte, steht dahin. Vor 100 Jahren stúrzte
der Karl ein, eine Volkssage erzáhlt von ihm und von der Kerling und man
muB dieser Sage ein Existenzminimum von mindestens 300 Jahren zubilligen.
Es ist aber unwahrscheinlich, daB in einer Zeit von 600 Jahren ein so groBer
Teil der Insel abgebrochen ist, und trotzdem muB es stutzig machen, daB
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