Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1926, Blaðsíða 20
fing, Iyieder zu singen, aber es sind in den áltesten Sagen schon Bemerkungen
vorhanden, die auf einen deklamatorischen und gesanglichen Vortrag der Ge-
dichte durch die „skáld" (Skalden) hinweisen, auch verschiedene Funde wei-
sen darauf hin. Riemann hat festgestellt, daB die Mehrstimmigkeit (das Or-
ganum) nordischen (nord-west-europáischen) Ursprungs wáre. Man kann
daher mit einiger GewiBheit annehmen, daB die islándische Volksmusik nicht
jiinger ist wie die islándische Sprache.
Es sind zwei Arten, die sich in der islándischen Volksmusik hervorheben.
Der ,,tvísöngur“ (Zwiegesang) zeigt seine gröBte Eigenart in den Harmonie-
verbindungen. Die Uieder werden zweistimmig mit der Quinte als Haupt-
harmonie gesungen, wobei sich die Stimmen kreuzen. Die andere Art, die
„rtmur“ hat ihre gröBte Eigenart in dem mannigfach wechselnden Rhythmus
und Akzent. Dies sind balladenartige Rieder, die auch zum Tanz gesungen
worden sind und darum im Rhythmus aufgehen. Der Verfasser dieser Zeilen
hat in seiner Abhandlung „Islándische Volksmusik und germanische Empfin-
dungsart" in dem Oktoberheft (1923) der Monatsschrift „Die Musik" die ver-
schiedenen Merkmale der islándischen Volksmusik geschildert, wobei er unter
anderem die Atonalitát der islándischen Volksmusik nachzuweisen versuchte
und zu der SchluBfolgerung kommen muBte, daB es eine rein germanische
Kunstmusik noch nicht gegeben hat.
Wir bekamen in Island das Christentum (Katholizismus und Protestantis-
mus), und man hat versucht, die gesamte islándische Volksmusik auf den gre-
gorianischen Gesang zuriickzufuhren. Es ist aber in vielen Fállen unmöglich,
und selbst wenn es in gewissen Fállen tonal möglich ist, so ist es doch noch
kein Beweis fur eine Entstehungsverwandtschaft. AuBerdem fuhlten sich die
Islánder dem Christentum lange Zeit sehr fremd und benutzten es vielfach
rein formell als weltliches Machtmittel. Zitate aus den „Sagas" beweisen,
daB bereits im 13. Jahrhundert getanzt worden ist. Bei allen Festlichkeiten,
wie Hochzeiten und Trinkfesten (bei letzteren zu jedem Wohl) ist gesungen
worden. Auch ist den Gásten beim Abschied gesungen worden. Die Tanz-
feste mit Gesang wurden mehrere Jahrhunderte mit zunehmender Beliebt-
heit gepflegt. Endlich hat aber die Geistlichkeit diese Tanzfeste, bei denen
es oft toll zugegangen ist, so bekámpft, daB sie verschwanden und damit ohne
Zweifel ein groBer Schatz Musik. Instrumente sind erhalten geblieben, deren
Bedeutung man erst in der allerletzten Zeit genauer beurteilen kann.
Es braucht wohl nicht erwáhnt zu werden, daB das fast völlig abgeschlos-
sene Island in den Jahrhunderten der Unterdruckung von der europáischen
Kunstmusik nichts erfuhr und auch selbst keine Kunstmusik hervorbringen
konnte. Die Islánder galten, so wie die Deutschen in friihesten Zeiten, als un-
musikalisch, vermutlich weil sie alleiu das germanische Musik- und Tonalitáts-
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