Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1930, Blaðsíða 5

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1930, Blaðsíða 5
Etwa gleichzeitig ist — wenn man so sagen darf — eine neue These auígetreten; wir können sie die paradigmatische nennen oder die von der schieíen Ebene der Kultur. Nicht bloB das, was selbst beansprucht, alter als Islands Besiedlung zu sein, und auf dem skandinavischen Festland, in Deutschland oder bei den Goten in SiidruBland spielt, lehrt uns etwas uber das vorislandische Germanien in seiner Breite; auch die Islendinga- und Konungasögur tun dies. Wenn jene Quelle vor allem individuelle Ereignisse, einmalige Geschichte also melden, werfen diese Licht auf gesellschaftliche Zustande, Sitten und Geistesverfassungen, auch materielle Iíulturgiiter, die in dem Island der Sagazeit nur eben auf engem Raum und an abgelegener Statte fortleben oder iiberleben. Die germanische Gesellschaft von Ftirsten, Bauern und Sklaven, die wir aus den Sagas so genau kennenlernen, als hatten wir uns selber jahrelang in ihr bewegt, sie ist die germanische Gesellschaft der Zeit Attilas, der Zeit des Arminius und schon friiherer Zeiten, die iiberall wesentlich dasselbe Gesicht zeigte. DaB sie im Norden, und besonders im fernen Island sich selber so lange gleich blieb, um in Perga- menten des 13. und 14. Jahrhunderts aufgefangen vor uns zu liegen, wahrend sieim Suden frúh, je súdlicher, um so frúher, neuen Lebensformen hat Platz machen mússen, ist begrúndet durch den súd-nördlichen Lauf der Uberfremdungswellen. Als in Súd- deutschland und England Kirche, Rittertum und Ziegelbau festen FuB faBten, gab es dergleichen in Norddeutschland und Skandinavien noch nicht. Allmúhlich aber wurde zuerst Norddeutschland von den Neuerungen ergriffen, dann Dánemark, spáter die nordische Halbinsel mit den von ihr aus besiedelten steinigen Eilanden. Daher ist das chronologisch Gleichzeitige kulturgeschichtlich von ungleichem Alter, und diese Verschiedenaltrigkeit fassen wir im Bilde als Schiefheit der kulturgeschichtlichen Ebene. Die Ebene liegt gleichsam in einer Sandwehe oder im Wasser, nur mit dem oberen Ende sichtbar herausragend, also mit der islándisch-norwegischen Sagazeit. Das obere Ende eines Brettes oder Balkens genúgt aber, um die Beschaffenheit des ganzen Gegen- standes daraus zu ersehen. So die These, deren Urheber ich nicht zu nennen weiB1. Sie hat etwas unmittelbar Einleuchtendes an sich, aber fúr mehr als eine Hypothese wird sie einstweilen nicht gelten können. Obgleich in der germanischen Philologie Hypothesen oft eine Rolle gespielt und sogar gewisse sehr schlechte „Theorien" — wie Lachmannes Liedertheorie und ihre Nachahmungen — lange in hohen Ehren gestanden haben, kann man von der paradigmatischen These nicht einmal das erstere sagen. Sie hat eigentlich keine Rolle gespielt. Die meisten Fachleute, denen sie zur Kenntnis kam, haben sie achselzuckend abgelehnt. Fragt man sich nach den Grúnden dieses Achselzuckens úber einen so einfachen und plausiblen Gedanken, so dúrften vorzugsweise deren drei in Betracht kommen: 1. Die anspruchslose Einfachheit der These, welche bewirkt, daB ihr das „Credo, quia absurdum" nicht zugute kommen kann, der beste Bundesgenosse von Vulgatmeinungen, und welche auch den, der úber den Reiz des Absurden erhaben ist, abstoBen kann, da ihm nichts zu denken gegeben wird und er die Anwendung nicht sieht. Und letzteres ist sehr oft der Fall, denn 2. setzt der Glaube an die These eingehende Kenntnis der altnordischen Quellen und gleichzeitig weiten kulturgeschichtlichen Blick voraus, zwei Dinge, die schon deswegen selten vereint auftraten, weil hinreichende Bekanntschaft mit dem Altnordischen sehr wenig verbreitet war. Wer von der altislándischen Literatur nichts oder wenig weiB und womöglich Vorstellungen von ihr hegt, die aus zweiter und dritter Hand geschöpft sind, wird dazu neigen, den Kenner, der ihre Altertúmlich- keit und ihren Beispielswert fúr Altdeutschland betont, fúr einen Redner pro domo zu halten. 3. Steht das Entwicklungsdogma im Wege, das den Blick auf die Uber- fremdungsvorgánge trúbt und das Hauptinteresse den „höheren Entwicklungsstadien" zuwendet, durch welche die „niederen" úberwunden und erledigt seien. Natúrlich wáre 1 Sie trat mir zuerst entgegen in A. Heuslers Einleitung zu seiner ersten Verdeutschung der „Geschichte vom Húhnerthorir" (Berlin 1900). 5

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