Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1930, Blaðsíða 23
lag diese letzte Siedlung hinter uns und wir durchmaBen ein endloses, viele Tagmársche
weites Gebiet eines unsaglichen Einerlei. Im Siiden náhrt die diirítige Grasnarbe noch
wollige Schafe, der Pflanzenwuchs wurde aber immer spárlicher, je weiter wir vor-
drangen, so daB es dem Wind ein leichtes ist, aus dem feinen Staub des Bodens haus-
hohe gelbe Wolken zu entfúhren. Zu Milliarden decken graue und bláulich-fahle Steine,
Felsblöcke und Trlimmer den Boden, verringern das ZeitmaB des Wanderers, tiirmen
sich zu langgestreckten flachen Riicken, in deren endloser Gleichförmigkeit Stunde um
Stunde wirkungslos zu verrinnen scheint. Unser Ziel, die Eiswelt des Langjökull, steht
noch weit vor uns, doch die steinige Weite ringsum spricht deutlich von der einst un-
beschránkten Herrschaft des Eises, von der Eiszeit, die das ganze Land unter berge-
hohem Eis begrub. Island — eine einzige Eiswilste, aus der kaum einige Bergspitzen
hochragten. Die infolge ihrer eigenen Schwere talwárts gleitenden Eismassen nahmen
zahllose Gesteinstrúmmer aus dem Untergrund mit, die beim Schwinden des Inland-
eises úber weite Strecken zerstreut zurúckblieben und uns heute in Gestalt jener ein-
förmigen Steinwústen entgegentreten.
Weit mehr noch als die Unwegsamkeit des Gelándes trug ein anderer Umstand dazu
bei, unser Vordringen zu verzögern; das waren die zahlreichen Flusse, die den abschmel-
zenden Rándern des Hofs- und Langjökull entstammen. Fast jeder von ihnen zwang
dazu, die Schuhe, oft auch Hose und Hemd auszuziehen, um das andere Ufer zu gewinnen.
Am dritten Tage unseres Alleinseins blinkte uns der See Hvítárvatn entgegen, doch
noch viele Male entschwand er wieder hinter dem Auf und Ab zahlreicher Moránen-
wálle und erst am náchsten Tag standen wir an der grau und blau sich dehnenden
Fláche, völlig einsam am FuB des Langjökull gelegen, úberragt von dessen auf hohem
Sockel lagernden Eismassen. Sie táuschen uns ein Bild völliger Ruhe und Starrheit
vor; aber dennoch ist Bewegung im Eis. In unmerklich langsamem FluB wálzen sich
zwei lange Eisströme bis an das Seeufer, weiter noch, in den See hinein, bis das Eis
den festen Boden verliert und sich in Trúmmer löst, die als glitzernde Eisberge in den
See hinaustreiben. Immer wieder tönt dumpfes Gepolter úber den See her, das Ent-
stehen neuer Treibeisblöcke ktindend.
Wassergefltigel tummelt sich im See, ein Singschwan zieht seine Kreise tiber uns;
der Spiegel des Sees kráuselt sich unmerklich, allmáhlich sinkt die lichte nordische
Nacht nieder. Dunkel hebt sich das Dreieck unseres Zeltes vom hellen Mitternachts-
himmel ab.
Aus dem See ergieBt sich in ungestúmem Lauf, Stromschnellen und scháumende
Wasserfálle bildend, die Hvitá, einer der gröBten Flússe des Landes. Knapp unterhalb
des Sees besteht eine Möglichkeit zum Úbersetzen in Form einer Fáhre. Um die un-
gehinderte Bentitzbarkeit zu sichern, muB man sie im gleichen Zustand, wie man sie
vorgefunden hat, wieder verlassen; man hat also nach dem Uberqueren mit Hilfe eines
Bootes vom andern Ufer das erste wieder an seinen Platz zu bringen, so daB im ganzen
drei Oberfahrten nötig sind. Ftir zwei Mann bedeutete es eine schwere Arbeit, die
groBen Boote ins Wasser zu schaffen und dann wieder ans Land zu ziehen, um sie vor
der Gefahr eines Hochwassers zu sichern.
Der seltsamste Zug islándischer Landschaft ist das oft unvermittelte Nebeneinander
von Gletschereis und Vulkanen. Hart am Rande des Langjökull liegt das Geldingafell,
ein allerdings lángst vollkommen erloschener Vulkan, der bisher noch nicht wissen-
schaftlich untersucht, ja nocli nicht einmal erstiegen worden war. Er gehört einer an-
deren Art von Feuerbergen an als etwa die allbekannte Hekla. Nie entstiegen diesem
Berge Schauer von Asche oder Schwárme ausgeschleuderter Steine; ausschlieBlich
feurige Lavafluten entquollen seinem Schlund und bedeckten in záhem FlieBen die
Flanken des Berges. Die wissenschaftliche Beobachtung des Vulkanes ergab, daB seine
Tátigkeit in eine Zwischeneiszeit fiel, eine Unterbrechung der Eiszeit, in der die Glet-
scher durch gröBere Wárme zeitweilig zum Rúckzug gezwungen wurden.
Sichtiges Wetter lieB die Blicke in der Runde schweifen: in einiger Entfernung wuchtet
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