Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1930, Blaðsíða 24
der Eisschild des Hofsjökull, ganz in der Ferne sticht die schneebedeckte Hekla hervor
und dort vor uns greifbar nah droht — nein, lockt — die Eiswelt des Langjökull. Ge-
waltig sind die AusmaBe dieser Hocheisflache. Einer Líinge von 70 km entspricht eine
Breite von 20—30 km. Die Besteigung dieses Gletscher- und Firnfeldes sollte den
Höhepunkt unserer Fahrt bilden!
Diesen Abend erbauten wir unser Zelt an einer windgeschiitzten Stelle im Vulkan-
krater, was allerdings völlig gefahrlos war, da ja der Berg seine Tatigkeit eingestellt
hatte und voraussichtlich nie mehr zu neuem Leben erwachen wird.
Der FuB des Berges gegen den Gletscher zu ist von einem mehrere hundert Meter
breiten Moránenfeld bedeckt. Die zahlreichen Wasserfáden vom abschmelzenden Ende
des Gletschers sammelú sich zu einem kleinen Bach. Und nun stehen wir unmittelbar
am Rand des Eises. Wir freuen uns: nicht umsonst haben wir unsere Rucksácke mit
Gletscherausrústung beschwert, mit Seil, Pickel, Steigeisen.
Zunáchst mussen wir uns steil hinaufarbeiten. Dieser unterste Teil des Gletschers
wird von zahlreichen Schmelzwassergerinnen uberströmt, welche stellenweise in tiefen
Schlúnden und Trichtern im blaugrúnen Eis verschwinden. Deutlich wird hier die
Zusammensetzung der Eismasse aus einzelnen gröBeren Kristallen, die durchsichtig
wie Glas sind. Langsam nur gewinnen wir an Höhe, denn Gletscherspalten, die immer
wieder den Weg kreuzen, mahnen zur Vorsicht.
Die Bergreihe der Jarlhettur zieht dem Súdrand des Gletschers entlang und dámmt
das Eisfeld ab. Der Name bringt treffend die Form der einzelnen Berge zum Ausdruck,
denn Jarlhettur heiBt auf deutsch „Herzogshútte". Schon aus weiter Ferne fielen uns
ihre merkwúrdigen Umrisse auf; nun von der Hochfláche des Langjökull erkennen
wir abermals ihre scharfen Kegel, vermutlich die Ruinen alter Tuffvulkane.
Die Spalten im Gletscher werden jetzt seltener, schlieBlich schreiten wir nicht mehr
úber glassprödes Eis, sondern stapfen durch weiBen Firnschnee. Stunden und Stunden
weit dehnt sich hier die weiBe Fláche, Zeit und Raum schwinden, wenn man durch die
weiBe Einförmigkeit zieht. In einer halben Stunde múBte jener Hugel zu erreichen sein,
der sich dort schwach úber die Ebene erhebt; in Wirklichkeit brauchen wir mehrere
Stunden. Das Fehlen jeder VergleichsgröBe hindert das Abschátzen der wahren Ent-
fernungen. An der Umgebung hat sich im Lauf des Nachmittags nur wenig geándert.
Doch die Zeit enteilt, kaum dúrfen wir uns eine kurze Rast gestatten.
Fast in die Mitte der Eiswúste dringen wir vor. Die sinkende Sonne, besonders aber
der einfallende Nebel veranlassen uns aber, wieder dem „festen Land" zuzustreben.
Darum steuern wir auf einen Felsstreifen zu, der dort im Súden aus dem Eis ragt, wobei
wir aber in ein Gewirr von Spalten geraten, aus dem uns erst lange Umwege wieder
herausfúhren. So dauert es noch eine gute Weile, bis wir das Seil einziehen können.
Nun setzt wieder die Kletterei úber die Moráne ein. Erst nach Mitternacht gelingt
es uns nach vielem Suchen, ein paar Quadratmeter Sandboden zu finden, der soweit
frei von Steinen ist, daB er zum Nachtlager geeignet ist.
Das wichtigste am náchsten Morgen war, eine genaue Bestimmung unseres Stand-
ortes vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurde die höchste Stelle der Umgebung erstiegen,
eben jener Bergzug, dem wir vom Eis aus zugestrebt waren. Aus der KompaBpeilung
ergab sich, daB wir auf dem Berge Hagafell standen, der auf drei Seiten vom Eis ein-
geschlossen wird, wáhrend er im Súden in einer steilen Wand gegen den See Hagavatn
abbricht, der tief unten zu unseren FúBen schimmert. Am FuB des Hagafell entdeckten
wir einen erstarrten Strom schwarzer Lava, spröd und glasig, mit zerrissener Ober-
fláche. Er ist jedenfalls einem nicht allzu weit entfernten Vulkan entflossen und findet
sich auf der geologischen Karte des Landes nicht eingezeichnet. Wir haben diese also
in einigen Punkten zu berichtigen.
Auf drei Seiten Eis, auf der vierten Wasser: es ist klar, wir mússen den einen der
beiden Eisströme úberschreiten, die den Hagafell umflieBen, sich dann wie eine senk-
rechte Wand in den See hinausschieben, um sich ebenso wie die Gletscher am Hvítár-
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