Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1930, Blaðsíða 26
jedenfalls eine Kultur, eine im höchsten Grade klassische, um nicht zu sagen vorklas-
sische, und die dabei noch volkstiimlich und lebendig im Heimatboden verwurzelt
ist wie vor Jahrhunderten. Dies ist die Kultur Islands. Hier gibt es eine kiinstlerische
Einstellung, die fúr das zwanzigste Jahrhundert von ausschlaggebender Bedeutung
werden kann. Selbst das Christentum hat die in Island erhaltene altnordische Geistes-
art nicht wesentlich verweichlichen können. Die tausendjáhrige Wikingersprache ist
im Volke lebendig. Ihr kúnstlerischer Ausdruck bleibt sogar entwicklungsfáhig im
modernen Verkehr. Im Zeitalter der Flugmaschine werden Edda und Sagas von dem
einfachen Volke, selbst von Kindern, gelesen und gelernt. Die Entwicklung dieser
kúnstlerischen Art ist aber nicht an die úberlieferte Sprache und Literatur gebunden.
Die Landschaft des Landes ist dieselbe wie zur Wikingerzeit, als sie die Dichtungen
der Edda und Sagóis formte. Die Herkunft des Volkes bleibt unantastbar. Die Herb-
heit der Volksseele ist durch die Not der Jahrhunderte nur etwas verinnerlicht. Die
Volksmusik ist so urnordisch und barbarisch wie zur Wikingerzeit, als die Skalden
ihre Lieder sangen; die Rhythmik und die Quinten des zehnten Jahrhunderts bilden
noch das Grundelement dieser Volksmusik. So sind die Möglichkeiten gegeben fúr
eine neuklassische, herb-mánnliche Renaissance aller Kúnste. Im zwanzigsten Jahr-
hundert gewinnt Island erst wieder engere Fúhlung mit der europáischen Kultur. .Hier
ergeben sich glánzende Entwicklungsmöglichkeiten. Vielleicht wird es úber Sein oder
Nichtsein der neuislándischen Kultur und Kunst entscheiden, ob es ihr gelingt, sich
in diesem Sinne voll zu entfalten. — Hierbei ist nicht zu vergessen, daB die islándische
Kultur sich auch bei den verwandten nordischen Völkern Europas und Amerikas ent-
falten und entwickeln wird. Ist z. B. die hervorragend nachempfundene und hoch-
kúnstlerische Edda-tjbersetzung von Genzmer nicht schon fast eine neuklassische Er-
fúllung ? Kein Zweifel, daB sich eine áhnliche Wiedergeburt bei anderen kúnstlerischen
Menschen des Auslandes regen wird. J ón Leifs
VIII. NEUE GEBÁUDE IN ISLAND
In Akureyri láBt der Bauern-Konsumverein einen dreistöckigen Neubau mit Láden
ausfúhren. Das Gebáude, unmittelbar bei der mit allen technischen Errungen-
schaften eingerichteten Molkerei und Káserei desselben Vereins gelegen, erfordert einen
Kostenaufwand von úber V2 Millionen Kronen. Es war bei meiner Anwesenheit im
Rohbau fertig und dúrfte gegen Ende dieses Jahres in Benutzung genommen werden.
Von Reykjavik aus unternahm ich mit meinem Freunde G. M. Björnsson eine Tour
in östlicher Richtung. Es ging úber Þrastalurður bei Soreý. Hier hat der Besitzer des
Gasthauses einen groBen Saal anbauen lassen, in welchem fúr 150 Personen gedeckt
werden kann.
Weiter úber Reykjar und Reykjahverfi hatte icli in Olfus, ca. 60 km von Reykjavik,
die neue, modern eingerichtete Meierei des Konsumvereins zu besichtigen. Zum Antrieb
der Maschinen wird das Wasser der ganz in der Náhe gelegenen heifien Quellen benutzt,
indem es in Kesseln nur úberhitzt wird.
Unmittelbar neben der Meierei láBt die Freimaurerloge „Edda" in Reykjavik ein
Kinderheim bauen. Auch fúr dieses Gebáude werden die heiBen Quellen benutzt,
namentlich zur Heizung. Das Haus enthált auBer Wohnung fúr den Verwalter Wirt-
schaftsráume, Aufenthaltsraum, Speisesaal, vier groBe lichte Zimmer mit je 10 Betten,
so daB 40 Kinder untergebracht werden können. Im Rohbau fertig, dúrfte es im náchsten
Jahre in Benutzung genommen werden. Die Mitglieder der noch verháltnismáBig jungen
Loge „Edda" (sie wurde gestiftet am 6. Januar 1918) geben damit einen schönen Beweis
von praktischem Idealismus.
In absehbarer Zeit wird die Loge „Edda", die bis jetzt Ráumlichkeiten in einem
Kontorhause gemietet hat, ein eigenes Logenhaus bauen lassen. Der bisher schon auf
ca. 300 000 Kronen angelaufene Baufonds zeigt, daB die Mitglieder fúr ihren Zweck
auch materielle Opfer zu bringen verstehen.
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