Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1931, Blaðsíða 4
j.iingenden Verklárung, die selbst den intimsten Anteilnehmer dieses Dichter-
daseins wie ein unerwartetes Wunder iiberrascht.
Was Gunnar Gunnarsson seit dem grofien Wendepunkt in seinem Schaffen
also vor allem auszeichnet, ist diese innere Orientierung der Welt seiner
Dichtung gegeniiber; die Schárfe, fast möchte ich sagen die Deidenschaft
seines Blicks und dessen Unbeirrbarkeit.
Dieser Blick ist iibrigens schon immer sein Bestes gewesen und hat ihm
in seinem harten Kampf, sowohl gegen sich selbst als auch gegen die vielen
Gefahren seiner Stellung die besten Dienste geleistet. Die naive Unschuld
seines Auges war es, die immer wieder die Schönheitsfehler seiner Dich-
tungen milderte und iiberhellte; seine primitive Freude an dramatischen
Explosionen, seine grelle Dámonie und andere Jugendfehler mehr, wie
schwer hátte man sie ihm verziehen, wáre nicht auch dieses groJ3e Schauen in
seinen Werken so iiberreich vorhanden gewesen.
Nun dies untriigbare Auge den Sieg im Kampf davontrug, kann Gunnar
Gunnarsson sich auf sich selber verlassen — und wir, wir können uns auf
ihn verlassen, es war ein entscheidendes Gliick, als sein Instinkt sich ganz
dieser Fiihrung iiberliefi; er ist seitdem weder an sich selber noch an seiner
Arrfgabe irre geworden.
„Jón Arasons" erster und entscheidender Vorzug ist also zunáchst die
naive Auffassung dieses unbestechbaren Auges, womit der Held geschaut
wird. Es ist eine gefáhrliche Sache, sich an solch eine, bereits im BewuBt-
sein des Volkes fertige Gestalt, wie die des alten Bischofmártyrers, heran-
zuwagen. Aber ein Dichter wie Gunnar Gunnarsson uberwindet die Schwierig-
keit gleich miihelos. Ganz einfach; er sieht sie, wie sie da ist, d. h. er sieht
sie wie sie alle sehen, wie der einfache, unverbildete Mann aus dem Volke
nun einmal so einen Volkshelden sieht: wie er es eben gelesen und gelernt
hat; und so stellt er ihn dar, ohne was hinzuzutun oder was wegzuneh-
nehmen — kurz, ohne sich an ihm zu vergreifen. Ganz einfach — sagte
ich, ja, fiir den, der schon dem Schwierigsten gewachsen ist, ganz einfach.
Eine Begabung minderen Ranges hatte hier wahrscheinlich den naheliegen-
den Fehler gemacht, originell zu werden, deuten zuwollen, interessante,
womöglich sehr herbeigeholte private Analysen hineinzumengen. Aber da-
zu ist eben Gunnar Gunnarssons Auge zu klug. Er weií3, in solchen Dingen
láfit das Volk nicht mit sich spaBen, und er weifi auch, was mehr ist: dai3
das Volk hier recht hat und auch recht behált. Und dennoch, wenn wir
das Buch gelesen haben, stelit dies alte Heldenbild vor uns und ist neu!
Also doch ein neues Bild ? Nein, es ist das alte, aber neu geschaut. In die-
sen beiden Tatsachen liegt die ganze grofie Kunst dieses historischen Ro-
mans: Sie fiihrt uns seinen Helden vor, wie wir ihn seit unsrer Kindheit
30