Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Page 5
worden. Sein Eigenleben hatte fast völlig zu bestehen aufgehört, das Althing,
das praktisch ganz bedeutungslos geworden war, war im Jahre 1800 auf-
gehoben worden. Naturungliicke, wie Hungersnöte und Vulkanausbriiche,
dazu die ungeheure Verarmung, taten noch ein iibriges, die hage des islán-
dischen Volkes derartig gedriickt und hoffnungslos zu gestalten, dai3 man
zeitweilig sogar erwog, die Bewohner von der Insel wegzufiihren und sie in
Jiitland anzusiedeln. Man glaubte unter diesen Umstánden in dánischen
Regierungskreisen nicht, dafi es sich der Miihe lohnte, etwas Besonderes
fiir Island zu schaffen. Man bestimmte daher in dem Dekret, durch das die
Einrichtung der oben erwáhnten Stándeversammlungen erfolgte, daB Is-
land an der Stándeversammlung der Inseldánen mit zwei Abgeordneten
teilnehmen sollte. Wider alles Erwarten erzeugte jedoch diese Bestimmung
eine heftige Bewegung, und zwar nicht nur auf der fernen Insel selbst,
sondern auch unter den in Kopenhagen wohnhaften Islándern. Dieser Be-
wegung, an der der junge Jón Sigurðsson schon in erheblichem Mai3e be-
teiligt war, gab die dánische Regierung schlieBlich nach, und sie bewilligte
im Jahre 1843 eine eigene auf Island tagende beratende Versammlung, die
im Jahre 1843 erstmalig zusammentrat, und die den uralten Namen „Althing"
nach 43jáhriger Unterbrechung wieder aufleben liei3. Bereits wáhrend der
ersten Tagung des neu errichteten Althing vertrat Jón Sigurðsson seine
heimatliche'Isafjarðarsýsla, und dieser Bezirk entsandte ihn bis zu seinem
Tode. In dieser Eigenschaft wirkte er auf die Verhandlungen des Althing
iiber Islands Angelegenheiten in hohem Mai3e ein, und sein Name steht auch
unter vielen Aufsátzen, die sich mit der Verfassungsfrage bescháftigten.
Besonders aber war er einer der Mitbegriinder und fleiBigsten Mitarbeiter
der Zeitschrift ,,Ný félagsrit", der er eine groJBe Anzahl von Abhandlungen
uber Volksvertretung, Handel, Schulwesen, Finanz- und Verfassungszustánde
Islands lieferte.
Unter dem Einflusse der französischen Februar-Revolution kam im Jahre
1848 die dánische national-liberale Partei ans Ruder, die gleich nach der
tíbernahme der Macht daranging, eine verfassunggebende dánische Reichs-
versammlung einzuberufen, die uber eine freie, konstitutionelle Verfassung
beschlieBen sollte. An dieser Versammlung nahmen auch die Islánder mit
funf Abgeordneten teil, unter denen sich auch J ón Sigurðsson als Vertreter
seines heimatlichen islándischen Bezirkes befand. Man befurchtete jedoch
auf Island, dai3 das Resultat der Beratungen dieser Versammlung fur die
Islánder unzufriedenstellend werden könnte, da man die Besorgnis hegte,
dafi man in ihr bei der Einstellung der vorherrschenden Partei, die zwar
innenpolitisch entschieden liberal, dabei aber stark nationalistisch war, fúr
Islands Sonderstellung nicht das nötige Verstándnis aufbringen wúrde.
29