Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Síða 8
aber, sein Volk aus dem langen geistigen Schlaf aufgeriittelt und der dá-
nischen Regierung nach hartem Zampfe die schliei31ichen Zugestándnisse
abgerungen zu haben, gebuhrt lediglich Jón Sigurðsson, weshalb ihn sein
Volk nie vergessen wird.
Das Althing des Jahres 1875, das erste, das nach Einfiihrung der neuen
Verfassung mit beschliefiender Stimme zusammentrat, hat denn auch dieses
sein Verdienst durch Gewáhrung eines Ehrensoldes von jáhrlich 3200 Kronen
anerkannt. Vor dem Althingsgebáude in Reykjavík steht sein Denkmal.
Als im Jahre 1911 sein Geburtstag sich zum hundertsten Male jáhrte,
wurde seiner iiberall auf Island gedacht, und die islándische Postverwaltung
gab Briefmarken mit seinem Bild heraus. Auch die bevorstehende 50. Wieder-
kehr seines Todestages, die nahe zusammenfállt mit der 11. Wiederkehr
des Tages, an dem Island seine Souveranitát wieder erlangte, wird auf
Island ein Tag des Gedenkens an den Mann sein, der vielleicht der be-
deutendste fiir sein Volk in dessen tausendjáhriger Geschichte gewesen ist.
Greifswald S. Remerlz
IV. ISLAND-STIMMUNGEN
Von Walter Behm
Im Sommer des Jahres 1925 erfullte sich erstmalig íiir mich eine drángende Sehnsucht.
Zur fernen Insel im Norden, die aus Feuer und Eis geboren ward: Island.
4Í4Tage waren wir auf See. Ich las „Die Islandfischer" von Pierre Loti. Selten habe
ich in meinem Leben eine tiefere persönliche Verbundenheit zu Landschaft und Um-
gebung empfunden durch das Wort eines Dichters, als beim Lesen dieses Buches.
Als wir nun einige Tage spáter auf islandischem Boden standen und nach vielen
Begebnissen von der Hauptstadt in das Innere des Landes aufgebrochen waren, sturmten
neue Eindrúcke auf uns ein. Es ist sehr viel úber Island geschrieben worden. Fast jeder
Reisende veröffentlicht heutzutage seinen „Reisebericht". Doch hat mir nie eine Schil-
derung der islúndischen Landschaft besser gefallen als die, welche Heinrich Erkes in
den Mitteilungen der Islandfreunde1 unter dem Titel: „Das Naturbild Islands" gab.
Fúr jeden Gesichtseindruck fand er das passendste Wort unserer Sprache, durch-
pulst von dem sprúhenden Antrieb der seelischen Erhebung. Mit messerscharfer Klar-
heit halt er den Blick des Nacherlebenden, unbeschwert von romantischer Subjektivitát,
am Tatsáchlichen fest. Ich habe fast die Auffassung, daB ein Kúnstler mit starker
innerer Sehfáhigkeit in der Lage ist, ein impressionistisches Gemálde nach dieser Be-
schreibung herzustellen, wie das in einem áhnlichen Falle schon geschah.
Ich habe wáhrend meines Aufenthaltes in Island dreimal Gelegenheit gehabt, das
Erlebnis der islándisclien Landschaft mit der gröfiten Starke in innerster seelischer Be-
wegung aufzunehmen. Ich muflte von der Súdktiste der vulkanischen Halbinsel Reyk-
janes allein zu FuB nach der Hauptstadt zurúckkehren. Ich legte damals die Strecke
von etwa 40 km durch ein stark wechselndes Landschaftsgebiet zurúck. Mit greifbarer
Deutlichkeit, als sei es erst gestern gewesen, sind mir die Einzelheiten vor Augen. Von
der Kúste stieg ich langsam ins Innere, vorbei an einem riesigen Explosionskrater, in
welchem sich im Laufe der Zeit ein See gebildet hatte. Was fúr ein Geheimnis erd-
geschichtlicher Natur mochte wohl unter dem grúnlichen Spiegel schlummern ? Allent-
halben in riesigem Umkreis lagen die eruptiven Auswúrfe in Gestalt von Schlacken-
1 Heft 1/2, 1925.
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