Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Page 9
blöcken umher. An ranchenden Solfatarenfeldern vorbei fuhrte der Weg úber einen
kleinen PaB. Feinkörnige, tiefdunkelbraune Auswurfasche bedeckte den ganzen Boden.
Man konnte keinen festen Tritt fiihlen, fortwáhrend glitt die Asche vor den auftretenden
Stiefeln beiderseits fort. Ein muhevoll staubiger Weg, úber dem eine glúhende Hitze
lag. Der Blick glitt bald úber irgendeine Kraterreihe, deren Flanken von metallischen
schimmernden Schlackenkrusten bedeckt waren, bald uber fernere Húgelketten, hinter
denen man in der bláulichen Weite das Meer ahnte, oder úber weite, etwas tieferliegende
Altlavadecken, wo sich Flechtenwuchs und spárliche Vegetation angesiedelt hatte.
Hin und wieder kam ich auch an abfluBlosen Seen vorbei, die inmitten vulkanischer
Erhebungen eingeschlossen waren. Eine tiefe Melancholie lag úber diesen Gestaden
der Vergessenheit. Als einzigstes Lebewesen nahm ich nur einen kleinen Brachvogel
wahr, der mich auf lange Strecken bald vor mir, bald hinter mir begleitete, mich neu-
gierig betrachtete und dabei einen eigenartigen klagenden Ruf ausstieB. Ich empfand
bei diesem einsamen Marsch, fern von dem Getriebe der Welt, die ganze Landschaft
mit allen Einzelgliedern beinahe als lebendes Wesen, die alle Mitwisser und Vertraute
nieiner Gedanken waren. Ich sprach laut vor mich hin. Manchmal huschte auch ein
Zug von Verlassenheit úber mich, wenn meine Stimme in der Luft echolos stillstand.
Mit derselben greifbaren Deutlichkeit, mit der ich mich selbst in den leisen Wogen
der unterbewuBten seelischen Erregbarkeit schwebend bewuBt empfand, sah ich auch
die Landschaft und ich bin erstaunt, mit welcher Klarheit ich heute noch nach fast
4 Jahren die Einzelheiten vor mir sehe.
Den anderen starken seelischen Eindruck hatte ich beim Besuch der Hekla im Súd-
lande. Durch Zufall hatte ich mich mit meinen Kameraden verfehlt und war etwa
24 Stunden von ihnen getrennt. In dieser Zeit úberquerte ich zur Abkúrzung eines langen
Umweges ein weites Sumpfgebiet, welches ich erst beim Einbruch der islándischen Nacht
hinter mir hatte. Ich ging dann noch eine groBe Strecke Weges in dieser zwischen Tag
und Nacht gespannten Helligkeit. Diese Helligkeit empfand ich als eine schwebende
unbewegliche Gezeitenspanne, als wesenloses Bindeglied zwischen zwei sich ablösenden
Ewigkeitszeiten. Unwillkúrlich fiel mir die Schöpfungsgeschichte ein, wo Gott das Zwie-
licht zu Tag und Nacht trennte. Ich weiB heute noch, daB ich wáhrend des Marsches
immer wieder den Horizont nach einem östlichen Frúhschimmer absuchte, den ich un-
bewuBt herbeisehnte. Es herrschte eine unbewegliche lautlose Stilie, nicht ein Lúftchen
regte sich. Die stárksten Anregungen kúnstlerischer Art sind nach meiner Ansicht tief
in mir in diesen Stunden entstanden. Ideen, mit denen ich mich heute noch in unver-
minderter Lebhaftigkeit bescháftige. Die Unruhe, die ich in mir trug, die mich auch trotz
langerer eingeschobener Ruhepausen keinen Schlaf finden lieB, habe ich mir spáter nie
zu erkláren gewuBt. Es mag sein, daB eine Besorgnis mitwirkte: Werde ich mit den
Kameraden in dieser Einsamkeit wieder zusammentreffen ? Doch kann ich bis heute
den Glauben nicht auslöschen, daB der Gegensatz zwischen dem ewig Kosmischen und
dem pulsierenden Innenleben einen disharmonischen Spannungszustand erzeugt hat,
gegen den ich mich irgendwie wehrte. .
Das dritte Erlebnis kam beim Abstieg von der Hekla. Aus dichtem fröstelndem
Nebel eilten wir dem Abstieg zu. Da wurde wie durch einen Schleier plötzlich die tiefere
Landschaft sichtbar. Das Nebelmeer lag als Schicht in einer erdparallelen Ebene.
Diese Schicht empfand ich als etwas körperlich Dinghaftes, man stieB gleichsam mit
dem Kopf an die Decke. Die dúnne, sich nach unten zu bis zur klaren Atmospháre
schnell verlierende Zwischenschicht bot einen niegeschauten Blick. Traumhaft, wie
durch einen Farbfilter, erschien die Landschaft, die, seitlich von der Sonne beschienen,
ein Reliefbild von bestimmter, aber in der Licht- und Schattenwirkung ausgeglichenen
Deutlichkeit darbot. Sonnenschein und lichtdurchtránkte, aus unendlich vielen Wasser-
bláschen bestehende Nebelzwischenschicht mögen sich in einem gúnstigen Brechungs-
verháltnis fúr meinen Augenstand befunden haben, denn die Farbigkeit der Land-
schaft schien mir völlig gewandelt, und ánderte sich wáhrend des Abstieges durch die
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