Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Qupperneq 10
Zwischensckicht mit unerhörter Vielfáltigkeit. Erkes beschreibt ein anderes Licht-
phanomenen in seinem Naturbild.
Wenn ich hier nur die subjektiven seelischen Erlebnisse in Verbindung mit dem sich
auf einer gleichen Ebene bewegenden Stimmungsgleichlauf anderer Menschen behandele,
so tue ich das nicht, weil ich etwa glaube, das andere Islandbesucher nicht ebenfalls
tiefe Erlebnisse haben, sondern weil ich die Auffassung habe, daB bei vielen Menschen
erst spater, vielleicht auch erst nach Jahren das völlige BewuBtsein kommt, da das
Erlebnis erst eine geistige Ausreifung nötig hat. Das, was sich erst heute zu einer ge-
schlossenen Form fertig als gestaltetes Bauglied fugen konnte, war 1925, wahrend und
nach der Reise, noch nicht möglich. Das wirklichkeitsnahe „Reiseerlebnis" war mir
damals so wie heute in der gleichen Deutlichkeit bewuBt. Ich habe nichts vergessen,
nicht unsere Lachsjagd auf der Hvítá, nicht unsere abenteuerliche FuBreise zu der
Hekla, wo wir unter ortskundiger Fuhrung auf dem Hin- und Riickweg je dreimal
durch eisigkalte Flfisse durchwaten muBten, nicht die sausenden Ford-Autoreisen iiber
Stock und Stein ins Landesinnere und all die kleinen Begebenheiten der persönlichen
Beruhrung mit den Islándern. Doch ist das bestimmt nicht das Wichtigste. Als Motto
fur jede Reise in ein fremdes Land, in das Leben, in die Seele eines Menschen, den man
liebt, múBtc geschrieben stehen: Das Verborgene ist der wahre Inhalt.
Wenn ich nun ruckblickend meine Islandreise als eine gliickliche Zeit romantischer
und abenteuerlicher Erlebniszeit bedenke, so muB ich feststellen, daB sich das seelische
Erlebniserst erfullte, alsichinderHeimatwar. Und auch dannnicht etwaanschlieBend,
sondern . . . ja, ich weiB eigentlich nicht genau, wann das geschah. Es war auf einmal
da. Das BewuBtsein hatte sich heimlich und leise eingesponnen. Ich weiB nicht, ob
auf spateren Alpenreisen in der Gipfelstunde, auf Nachtfahrt im heimlichen Kiefern-
wald, am Nordseestrand oder auf einsamer Skifahrt. Ich weiB nur das eine bestimmt,
daB das BewuBtsein unauslöschlich ist, daB es langsam, aber mit unbezwinglicher
Zahigkeit wáchst, bis daB die Zeit wieder erfullt ist und der Wunsch zur Tat werden
muB: Sehnsucht erfulle dichl
V. KONRÁÐ KONRÁÐSSON VERUNGLUCKT!
Der angesehene und beliebte islándischeArzt Konráö Konrábsson ausReykjavík ist am
12. Juli 1929 im Alter von 45 Jahren in Deutschland einem traurigen Ungluck zum
Opfer gefallen. Er war mit seiner Gattin, wie schon friiher, bei unserm Mitglied Direktor
Sonnemann in Bremen-Oslebshausen als Gast. Bei einem Spaziergang, den er allein
unternahm, verirrte er sich, geriet in das Gewirr des Bremer Giiterbahnhofs und wurde
von einem Guterzug tödlich iiberfahren. Er war ein guter Freund Deutschlands; ihm
widmete Emil Sonnetnann einen tiefempfundenen Nachruf wie folgt:
In der Nacht vom n. auf den 12. Juli wurde uns unser lieber Freund Konráð Konráðs-
son auf tragische Weise durch den Tod entrissen. Wie des öfteren, weilte er auch in
diesem Jahre mit seiner lieben Frau Sigga in unsrer Mitte. Wir waren seit 21 Jahren
treue Freunde; ich habe unter seiner kundigen Fuhrung zum erstenmal die groBartige
Schönheit seiner nordischen Heimat mit den Augen und mit dem Herzen erlebt, wie er
es tat; und er hat von meiner Seite mein Vaterland Deutschland achten und lieben ge-
lernt. Wir waren miteinander froh im gegenseitigen Geben und Empfangen. Nie hat
es einen treueren und selbstloseren Freund gegeben und nie einen Menschen, der so dank-
bar war fur jeden kleinen Dienst. Von ihm konnte man lernen, Welt und Menschen mit
Humor zu betrachten. Noch im Tode zeigte das erstarrte Gesicht den charakteristischen
Zug giitigen Humors. Der andere tiefwurzelnde Zug seines Wesens war die unauslösch-
licheLiebe zu seiner Heimatinsel; er war der treueste Sohn seiner Heimat; darum soll
seine Leiche in Heimaterde bestattet werden unter dem Rauschen des Meeres und unter
dem Glanz der schweigenden Gletscher. Friede dem Toten und herzlicher Trost den
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