Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Page 14

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lag uber dem ganzen Benehmen dieser Gastgeber. Auf Island, unter diesen ernsten Men- schen, die selber alle als Herren behandelt sein wollen, wird die Gastfreundschaft noch mit jener unnachahmlichen vornehmen Geste des selbstverstandlichen und doch be- wuBten gegenseitigen Geehrtseins geiibt. Nach einer reichlichen Abendmahlzeit bekam jeder von uns, wir waren zu dreien, ein Bett, das wohltuend weich und sauber war. Als wir am Abend des nachsten Tages, nach einem Ritt zum GroBen Geysir, wofur uns der Bauer Pferde angeboten hatte, in der groBen Stube, in der noch heute Manner und Frauen des Hofes zusammen wohnen und schlafen, beieinandersitzen, versuchen wir dem Bauern an der Karte unser Vorhaben klarzumachen: wir wollen auf dem Wtistenwege zwischen den beiden groBen Gletschermaissiven des Inneren die Insel durchqueren, um vom Súdlande an die Nordkúste zu gelangen. Vom letzten Hof im Súden bis zum ersten Hof im Norden (180 km), hatten wir etwa fúnf Tagemúrsche berechnet. Die Leute schúttelten den Kopf: zu FuB, einen der lángsten Wege auf Is- land, den man sonst nur mit zwei guten Pferden macht ? Und wie sollten wir úber die beiden groBen Gletscherflússe kommen ? Wir hatten erfahren, daB an dem ersten ein Fáhrboot lag; den zweiten muBten wir kurz unterhalb des Gletschers zu waten ver- suchen. Man suchte uns abzuhalten. Aber als wir fest blieben, bemúhten sich alle in rúhrender Weise um unsere Ausrústung. Am Abend des folgenden Tages standen unsere Rucksacke gepackt; sie waren bis zum Platzen voll: ganze Laibe schweren, ganz west- fálisch anheimelnden Schwarzbrotes, gesalzenes und geráuchertes Schaffleisch, gedörrter Fisch, Butter und Zucker. Jeder bekam ein Paar neue .islándische Schuhe': ein Lappen Seehundsfell, von geschickter Frauenhand zu einem Schuh zusammengenáht, den man wie einen Handschuh úber den Finger, úber den FuB zieht. AuBer der úblichen Aus- rústung dann noch Angelzeug, Búchse und Zelt. Auf Island lebt man noch wie ein freier Mann auf Gottes freier Erde. Herzlich ist der Abschied von den Leuten auf Gýgjarhóll. Wir sind Freunde geworden in den paar Tagen. Wie die Madchen gelacht haben oft, wenn wir uns verstándlich zu machen versuchten; als einer von uns die schönste von ihnen auf 90 Jahre schátzte, wo er doch 19 hatte sagen wollen! Jetzt sind sie alle wieder still geworden; wie etwas Besorgnis fast klingt es durch ihren schönen AbschiedsgruB: „Fahret glúcklich!" In uns frohlockt es unbándig: vor uns liegt von Menschen nur selten berúhrtes Land: Islands Hochland mit seinen Gletscherkuppen und schwarzen Lavaströmen, seinen Einöden und von Singschwánen bevölkerten Bergseen; seinen dampfenden Quellen und den máchtigen Flússen, uber deren Sturz die groBen Wasserfálle rauchen. Und es ist Sommer, die Zeit der hellen Náchte. Unser náchstes Ziel ist das „Bláfell", „der blaue Berg"; ein steil gerundeter Basalt- block, der sich wie eine blaue Woge aus der Fláche im Norden erhebt. Ganz Island ist aus vulkanischem Gestein erbaut. Seine Berge sind wie groBe Bauwerke aus vielen Schichten kristallreiner Basaltsáuren geftigt. Ihre Höhen sind leicht gewölbt oder ge- tafelt. Sie kennen nicht das leidenschaftliche Aufsteilen der Alpenspitzen. Schwermútig und geheimnisvoll in sich zusammengesunken beherrschen sie die Landschaft. Klare, oft wunderbare Form aber ist nur die eine Seite der islandischen Landschaft; die andere, in der sie zu unaussprechlich machtvollem Leben sich entfaltet, ist die Farbe. Die islándische Natur hat so unfaBbar viel Farbe schon an sich: das weiBe Eis und die schwarze Lava; der rote Schlackenhang und die grtine Weide; der gelb-braune Tuffberg und der vom dunkelsten bis zum lichtesten Blau getönte Basalt; und wohl kein Land- strich der Erde wird unter den Farbwirkungen des vom Himmel kommenden Lichts so schnell und so vielfáltig verwandelt von dumpfer Trauer in gleiBende Helle, von schwer- farbigem Fluten in zartestes Umsponnensein vom farbigen Hauch. Unser ,BIauer Berg' scheint so nah. Aber wir haben bereits gelernt, wie sehr die un- gemein klare, dunne Luft hier auf Island alle AugenmaBe verrúckt. Auch die fernsten Linien zeichnen sich scharf und deutlich wie auf Glas geritzt. Vor fúnf Stunden durch- haltenden Marsches werden wir das .Bláfell' kaum erreichen. 38

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