Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Side 15
Einige Kilometer östlich von unserer Weglinie — wir folgen einem schmalen Pferde-
pfad — steigt eine Rauchwolke in die Luft. Wir hören es dumpf zu uns heruberbrausen:
es miissen die Wasserstaubschleier des „Goldfalles" sein, eines der gröCten Wasserfúlle
auf Island.
Gegen Mittag beginnt es zu sturmen. Der Wind fegt von Norden her, so daö wir
hart gegen ihn an mussen. Im Westen wirbeln Staubsaulen auf, werden niedergeschlagen
und treiben wieder hoch. Dort mússen Sandfláchen sein. Wir sind froh, da£S um uns
herum noch ein dichter Teppich von Gras und Kriechpflanzen die Erde festhált. Sand-
sturm kann fúr Mensch und Tier eine unúberwindliche Gefahr werden.
Islands Einsamkeit, die schon dem Seefahrer bei seinem ersten Blick auf die ragenden
Kústen ergreifend entgegensteigt, waltet auch hier. Kein Mensch, keine menschliche
Spur verrát dem forschenden Auge, daB dieses Land zum Besitz der Menschen gehört.
Schweigend, den Mund von dem zerrenden Sturm verschlossen, wandern wir, Stunde
fúr Stunde.
Erst am Nachmittag gelangen wir in den Schutz des „Bláfell". Als wir seine steilen
Hánge, an denen Gras und strahlend grunes Moos in schmalen Zungen sich hinauftastet,
nach Osten zu umgangen haben, ist von dem blasenden Nordwind nichts mehr zu spúren.
Die Luft ist wieder ruhig und ganz durchsichtig. GroBartig ersteht vor uns eine neue
Welt. Schimmernd wölben sich úber graugrún bekleideten Randgebirgen die weiBen
Firnfelder der beiden groBen Gletscher des Langjökull im Westen und des Hofsjökull
im Osten. Ein Teil des letzten wird verdeckt von einem Gebirgsstock, der mit einem
selten bewegten Zug hart und steil sich lösender Gipfel das Schwergelagerte dieses
Bildes wie mit kúhnem Griff durchbricht und lockert. Die Eiskuppel des westlichen
Gletschers aber streicht, von gerade aufsteigenden Berghángen gegúrtet, wie eine hell
wogende Dúne unabsehbar weit nach Norden.
Nur eine Talbreite von 15—30 km stehen die beiden Massive auseinander. Diese
Senke ist seit der Besiedelung Islands einer der wichtigsten Úbergánge zwischen dem
Nord- und Súdland der groBen Insel. Das Besiedelungsbuch, eines der wertvollsten
und aufschluBreichsten Werke der altislándischen Literatur erzáhlt von seiner Ent-
deckung. Unzáhlige Male ist dann der „Kjölur" — „Der Kiel" — von Nord nach Stid
und von Sud nach Nord durchritten worden, bis der immer wachsende Dampfschiff-
verkehr um die Kúste herum diesen alten Landweg wieder in Einsamkeit und Ver-
gessenheit hat versinken lassen.
Doch noch liegt ein Boot an der alten Fáhrstelle úber den „WeiBfluB". Sein un-
durchsichtig graues, reiBend strömendes Gletscherwasser ist zu Pferde nur schwer zu
durchqueren. Darum hat man lieber ein Boot benutzt und die Pferde allein hinter-
herschwimmen lassen.
Nach unseren Vermutungen muBten wir lángst an dem Liegeplatz des Bootes sein.
Denn schon wird das Leuchten des Firns um einige Töne matter. Die Tageshelle wird
ein wenig gedampfter als wenn ein trúberes Licht hineinsickere in die Luft — es muB
spát schon am Abend sein. Im Norden glimmen die Wolken rot.
Mitternacht ist vorbei als wir in einer Steinumwallung das Boot entdecken. Unsere
Glieder zittern vor Múdigkeit und Anspannung als wir den schweren Kahn zu Wasser
zu lassen versuchen. Aber wir mússen noch hinúber. Eisigkalt schneidet das Gletscher-
wasser die Beine, als wir ein Stúck in den FluB binauswaten, um das Bijot flott zu
bekommen. Dann ein Satz und an die Ruder — sonst geht die Strömung mit uns durch.
Den Bug im stumpfen Winkel gegen den Strom — und so gelingt’s. Am anderen Ufer
vermögen wir das Boot noch aufs Trockene zu setzen und unser Zelt im Sande sturm-
sicher zu verpflöcken, dann fallen wir in Schlaf wie ein Stein ins Wasser sinkt.
Unser Zelt ist so klein, daB wir wie Heringe in einer Tonne aneinandergepackt liegen.
Schon nach zwei Stunden wird es so hell und so heiB unter dem dtinnen Leinendach,
daB wir erwachen. Auf der Giebelwand, die nach Nordosten steht, hángt wie ein groBer
Milchfleck eine kreisrunde Scheibe — die Sonne. Es ist drei Uhr morgens. Schlaf-
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