Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Blaðsíða 16

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Blaðsíða 16
trunken kriechen wir hinaus. Und da ist es wie ein Erwachen in einem verzauberten Reich: alles leuchtet wie unter unlösbarem Bann von Glanz und Licht. Aus blankem Himmel, in dem hoch schon die Sonne steht, strömt unendliche Helle. Die mkchtigen Schilde der Gletscher werfen sie gleifiend zuriick. Hier und da webt ein rötlicher Hauch auf dem schimmernden Eis. Unter dem Abbruch einer Gletscherzunge, die breit das Randgebirge durchbricht, schillert griinglasig der Spiegel des Sees. In lockerem Blau steht die Woge des Basaltberges jetzt jenseits des Flusses. Der Sand um unser weiBes Zelt blendet hell. Wie ein Traumbild dringt diese Friihstunde der Sommernacht in unsere Sinne. Dann iibermannt der Schlaf uns wieder. Von der steigenden Sonne wohlig erwármt, schlafen wir unter freiem Himmel in die strahlende Schönheit eines islandischen Sommertages hinein. Niichterner ist das zweite Erwachen in dem sonnenlichten Morgen. Einer von uns geht, um vertrocknete Wurzeln der Kriechweide fiir ein Kochfeuer zu sammeln. Zu zweien laufen wir zum FluB hinunter, um mit Hilfe eines an dieser Seite lagernden Bootes dasjenige vom anderen Ufer wieder hiniiberzubringen. Aber dies zweite Boot ist noch schwerer und liegt noch weiter ab vom Wasser als das erste. Wir können es kaum allein hinunterschaffen. Wir haben gut geschlafen und die Sonne scheint warm: ein Blick der Verstándigung und wir werfen die Kleider ab. Jetzt ist man so wie dieses kahle, waldlose Land: ohne jede Hiille der klaren, kristallreinen Luft und all diesem flutenden Lichte hingegeben. Kraftig durchströmt es den nackten Leib: in dem kiihlen Luftzug, der iiber den GletscherfluB lauft, das Boot mit aller Anspannung gegen die reiBende Strömung zu treiben. Fiir den Riickweg sollen die eigenen Glieder die Ruder des Körpers sein. Der „WeiBfluB" fuhrt vereinzelte Eisbrocken von dem kalbenden Gletscher her. Wir warten, bis der letzte vorbeigetrieben ist. Dann schwimmen wir. Das kalte Wasser und der harte Strom spannen den Leib bis zum Geláhmtwerden. — Aber es gluckt. Ein wilder Lauf durch die Sonne macht die blau angelaufenen Glieder wieder hell und warm. Wir machen neue Pláne: wir wollen einen Tag einschieben, um den Gletschersee kennenzulernen, an dessen Ufern, ganz nah unterm Eis, alte Moránenhánge voll blau und hellrot wuchernder Blumen stehen; wir wollen noch in den Gebirgsstock mit den vielen kleinen Gipfeln, die „Altweiberberge", in deren Schluchten mit die gröBten Ansammlungen von heiBen Quellen und Schwefelpfuhlen liegen sollen. Aber als wir am Nachmittag aufbrechen, láuft der lichtstrahlende Himmel in einer halben Stunde voll grauer und schwarzer Wolken. Aller Glanz erlischt. Die Stirnen der Basaltberge werden unheimlich dunkel. Tropfen fallen. Unwetter auf dem Hochlande bedeutet vielerlei Gefahr. Unsere Ausrústung ist mangelhaft. Wir mússen versuchen, in einem Zuge bis nach „Hveravellir", dem „Platz der heiBen Quellen" zu kommen. Dort soll eine Hútte stehen fúr die Leute, die im Herbst die Schafe von den Bergen holen. Das sind 70 km — ohne Weg, nur hier und da bezeichnen ein paar aus Steinen oder Rasensoden aufgerichtete Warten die Richtung; ohne genaue Karte, denn die gibt es noch nicht; und ohne Sicht.: bald ist alles in Nebel und treibenden Regen gehúllt. Die Nacht wird fast dunkel als wenn der Sommer schon vorbei sei. Es ist eine múh- same Nacht, die alles fordert. Báche und kleine Flússe mússen gewatet werden; durch weite Sumpfstrecken muB man von Erdhúgel zu Erdhúgel springen. Schwarze Lava- felder voll gespenstischer Gestalten lauern mit vielen Túcken, klemmen den FuB zwischen lockeres Gestein und verwirren die Richtung; Bergstúrze haben scharfes Geröll úber den Boden gesát. Nur das dumpfe Tosen eines Flusses dröhnt aus tiefer Klamm in die nebelbedrúckte Stille; oder unser Ruf hallt durch die Nacht, wenn wir getrennt nach einer Mögliclikeit zum Weiterkommen suchen. Der schwere Rucksack wird immer schwerer und schwerer. Wir gehen sechs Stunden, acht Stunden, zehn Stunden — und immer noch folgen wir der KompaBnadel nach Norden zu. Gegen Morgen wird der Regen schwácher. Aber immer wieder táuschen Nebelfetzen uns den Rauch der heiBen Quellen vor, die wir doch lángst erreicht haben múBten. Da — endlich — nach 14 Stun- 40

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