Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Side 18
sein. Aber da wirft schon jemand die Tiir auf — und wie eine blaugoldene Welle schlágt
es in das dumpfe Dámmern des engen Raumes: drauCen steht ein strahlender Sommer-
morgen íiber dem wunderbar enthullten Land. Wo noch vor Stunden der Sturm die
Schneewolken jagte, da thront jetzt tiefe Feierlichkeit uber dem neugeborenen Bild:
die máchtigen Firnfláchen strecken sich gluhend in den blauen Grund des Himmels.
In seltenem EbenmaB geformte Berge scheinen dieser groBen lichterfiillten Ruhe ent-
wachsen. Uber Lava und lange Sandstrecken sind sanft belebende Farben gebreitet.
In dem kleinen, graserfiillten Tal, in dem das abrinnende Wasser des Quellenhugels
versickert, weiden die von der Muhe der Nacht schon ausgeruhten Pferde. Ruhig und
gerade steigen die Dampfsáulen der heiBen Quellen und zergehen langsam in der un-
bewegten Luft.
Nur in Hemd und Hose streifen wir umher, bis plötzlich einer von uns den anderen
wie besessen zuruft und zuwinkt, indem er zugleich auch noch die letzten Kleidungs-
stucke abwirft. Im náchsten Augenblick ist er von der Bildfláche verschwunden. Wir
stiirzen dorthin und schallendes Geláchter hallt durch diese Einöde wie vielleicht kaum
jemals vorher. In einer ziemlich groBen naturlichen Mulde im Boden haben sich einige
Rinnsale aus den heiBen Quellen gesammelt und das Becken mit kristallklarem, azur-
blauem Wasser gefullt. Dieses hat sich unterwegs soweit abgekúhlt, daB es gerade den
richtigen Wármegehalt fúr ein heiBes Bad bekommen hat. Und nun hinein in diese
vollendetste aller Badewannen, in der je ein Mensch gelegen: unaussprechlich wohlig
nach der tagelangen Dumpfheit der Hútte dehnt sich der Körper in dem bezaubernd
blauen, frischwarmen Wasser. Es ist durchsichtig und rein wie Glas. Zu beiden Seiten,
wie zum Greifen nah, gleiBen kalt in unantastbar reinem WeiB die Eisgewánder der
Gletscher.
So bist du, seltsame Insel Island: im gleichen Atemzug Feuer und Eis; sturmschwerer
Winter und strahlend schöne Sommerstunde voller Wárme und Glanz. Dieses köstliche
Morgenbad dauert lánger als das im WeiBfluB drei Tage vorher.
Der Tag vergeht schnell. Buntes Lagerleben ist um die Hútte. Die Geologen messen
alles MeBbare und beklopfen das Gestein. Wir besteigen einen Berg und gewinnen auf
der Höhe den groBen Blick úber den ganzen „Kjölur": weit nach Súden hin bis zur
„Hekla", deren Kopf wie eine fein gezeichnete Wolke im Horizont schwebt. Nach
Norden uberschauen wir den Weg, der vor uns liegt: lange, lange Strecken von Lava-
Sand und karg begrastem Hugelland, bis hin zu dem kegelförmigen Mælifell (= MeB-
berg), das wie ein Wahrzeichen und eine Richtungswarte fúr den Wanderer im nörd-
lichen Horizont steht.
Gegen Abend rústet die kleine Expedition, die aber úber 8 Pferde verfúgt, zum Auf-
bruch. Wir helfen beim Einfangen der Tiere, beim Satteln und Packen. Auf einmal
schaut man einander unwillkúrlich an: ein roter Schein liegt auf allen Gesichtern, auf
der glatten Haut der Pferde und den Metallbeschlágen an Sátteln und Zaumzeug. Uber
das ganze Land fállt ein rötliches Licht. Alle haben es heimlich erwartet nach diesem
Sonnentage, jetzt ist es da; ein islándischer Sommerabend. Es scheint noch stiller zu
werden auf dem stillen Hochland. Am nördlichen Himmel strömt es purpurrot hinter
dem Horizont — hinter den die Sonne selbst schon hinabgegangen — hervor. Dicht-
gedrángte Ketten kleiner Scháfchenwolken trinken errötend die unaufhaltsame Glut.
An den blauen Bergen verrinnt sie zu violetten Schleiern gesammelten Lichts. Alle
Húgel, der fahle Sand und die dunkle Lava sind wie mit rotem Wein getránkt — und
doch ist dieses Rot viel zarter in all seiner Leidenschaft, so wie das heimliche Leuchten
eines Edelsteins. Uber die weiBen Gletscher geht es wie ein sanftes Erglúhen. Die
hellen Dampísáulen werden zu rotgoldenem Rauch. Unsere Hánde und Gesichter sind
wie in Feuerschein getaucht.
Es vergeht eine Weile, ohne daB jemand etwas sagt oder ein Pferd sich rúhrt. Die
náchtliche Sonnenstunde ist die hohe Stunde des islándischen Sommers.
Dann reiten die anderen. Die rote Glut beginnt langsam zu ermatten. Der Purpur
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