Mitteilungen der Islandfreunde - 01.10.1929, Síða 19
des Himmels verblaBt unter einem mS.ch.tig sich entfaltenden Fácher von feuerhellem,
metallgelbem Glanz. Da zieht die Karawane einen Húgelrucken hinauf. Auf dem
Kamm hált sie einen Augenblick an, um noch einmal zurúckzugrúBen. In schwarzer,
scharf umrissener Silhouette steht der Zug der Reiter und Pferde vor der Helle des
ruhig flammenden Himmels. — Selbst der aufwallende Quellendampf scheint stille zu
halten unter dem Bann dieses Bildes. Ein Ruf, und der Schattenzug verschwindet,
Gestalt um Gestalt, jenseits der Höhe. Ton um Ton erbleichen Erde und Luft. Am
Himmel glúht und glimmt es weiter.
Wir húllen uns in die Schlafsácke, um noch ein paar Stunden zu ruhen vor dem
nachsten Angriff: der Uberschreitung des groBen Gletscherflusses „Blanda". Wir
mússen ihn zu waten versuchen, bevor die Sonne so hoch gekommen ist, daB sie ihre
Schmelzarbeit auf dem Gletscher beginnt. Der GletscherfluB ist einer der schwierigsten
Hindernisse fúr den FuBwanderer auf Island. Das schmutzig graue Wasser verwehrt
jeden Blick auf Tiefe und Beschaffenheit des Bodens. Man muB lernen, nach Art des
Wellenwurfes und der Strömung die Tiefe abzuschatzen. Wir haben manchen Wasser-
Fall als Lehrgeld zahlen mússen. An der „Blanda" gelingt es uns bald, eine gangbare
Furt zu finden. Mit nacktem Unterkörper tasten wir uns Schritt fúr Schritt vorwárts;
der schwere Rucksack hilft gut, den ganzen Körper gegen die starke Strömung zu
stemmen. Eisig kalt spúlt das Wasser bis unter die Húften. So durchkreuzen wir drei
Arme, die jeweils einige Kilometer voneinander entfernt flieBen. Die „Blanda" — sie
war uns gnádig, daB sie nicht mehr Wasser fúhrte — ist bezwungen, das Nordland ist
gewonnen!
Aber noch sind wir weit von allen Siedelungen. Ein Rudel Pferde, an das wir uns
heranpirschen, zeigt uns bald, daB sie nicht gewohnt sind, sich fangen zu lassen, um
Reiter oder Gepáck zu tragen: die Tiere jagen davon, daB die langen Máhnen fliegen —
in úbermtitigem Tollen die Freude kostend an der wilden Freiheit der Hochweide.
Diesen ganzen Tag geben wir durch, am Nachmittag schon wieder in leisem Regen.
Doch dann kommt die Sonne wieder und hált uns den folgenden Tag an einigen kleinen,
von Wildschwánen bewohnten Bergseen, den Aðalmannsvötn, fest. In der náchsten
Nacht wandern wir weiter, lange Zeit unter einem práchtigen doppelten Regenbogen,
der mit seltsam leuchtenden Farben durch die silberne Dámmerung sich spannt.
Als wir gegen Morgen an den Rand des Hochlandes gelangen, sind die Táler unter
uns mit brauendem Nebel gefullt. Wir wissen nicht, wo und wohin wir absteigen sollen.
Da teilt sich langsam das schleiernde Gewoge zu unseren FúBen. Wie aus den Wolken
schauen wir durch einen schmalen Spalt auf eine neue, unbekannte Erde: ein FluB
zieht schimmernd seine Linie, bis sie sich verliert in einem unentwirrbaren Geáder hell
blinkender Wasserfáden. Wiesen dehnen sich den Strom entlang und schwingen an
beiden Seiten hinauf zu den langsam steigenden Hángen des Tales. Ganz fern im Norden
ragt etwas Felsiges aus heller sich abhebendem Untergrund: es muB das Nordmeer
sein und die Klippe „Drangey", die Todesinsel des Sagahelden Grettir. Wir stehen úber
dem Skagafjord. In dem feuchten Grun der Wiesen und Weiden zeichnen sich scharf
umgrenzte, welkgelbe Flecken ab; in ihrer Mitte wölbt ein kleiner grúner Húgel sich
uber braunen Wánden: es sind die Höfe mit ihren bereits gemáhten Hauswiesen. Aus
den Rasendáchern steigt dúnner Rauch. *
Da standen wir an der Schwelle zwischen Islands einsamem Hochland und den gast-
freien Wohnungen seiner eigenartigen Menschen. Wem beides Erlebnis geworden ist,
diese Insel und dieser Mensch, den láBt es nicht wieder los. So wurden aus einer ge-
planten „Sommerreise nach Thule" drei unerschöpflich reiche Islandjahre.
Geschr. 1926 Reykjavík.
í*
43