Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1925, Blaðsíða 9
den Unruhe des Meeres weiterscgeln, ehe alle íiir diesen Ort bestimmten Handelsgiiter
gelöscht waren. Da wir sehr nahe der Kuste blieben, hatten wir bei heller Witterung
cinen ausgezeichneten Blick zunUchst uber den weitgestreckten Schildvulkan Selvogs-
heiöi und dann uber das Tal von Krisuvík, in dem wir sehr deutlich cine ungewöhnlich
staike Dan pfausschleuderung aus seinen altbekannten Solfataren und Schlammkratern
beobachtetcn. Die Klippe Eldey vor Reykjanes blieb im Dunste verborgen, wahrend
der neue I.euchtturm mit seinem rotbedachten weiCen W’achterhause uber dem grunen
„tún", der eingezáunten Hauswiese, im Sonnenlichte grell heruberleuchtete. Am Abend
burz nach der Landung in Beykjavfk begriiBte uns ein erstes schwaches Erdbeben.
Die Veránderungen, die lieykjavik wie das bewohnte Island uberhaupt seit zchn Jahren
erfahren hat, sind auBerordentlich. Zunáchst ist an Stelle der ehemaligen offenen Rhedo
ein gutgebauter Ha/en getreten; er erweist sich jedoch, wie mir scheint, bereits jctzt
in der Hauptverkehrszeit als fast zu klein. Die Stadt záhlt heute tiber 20 000 Einwohner,
bei der Gesamtbevölkerung Islands von rund 98 000 ein ungeheuerer Prozentsatz. Trotz
vieler Neubauten, die groBenteils aus Beton errichtet und nicht immer schön sind,
herrscht W’ohnungsmangel, und das I-eben in Reykjavík hat sich sehr verteuert.
Die Siraflcn sind gegentiber frtiher sebr gut geworden, zum Teil macadamisiert und
niit Btirgersteigen versehen. Pferdekarawanen, die fruher zum StraBenbilde gehörten,
sieht man jetzt wenige, um so zahlreicher geschickt gelenkte Automobile — ,,bíl" nennt
sie einfach der Islánder —, die den StraBcnverkehr áhnlich wie bei uns groBstádtisch
ungemtitlich machen. Fahrbare LandstraBen ziehen sich von Reykjavlk Hunderte von
Kilometer, nicht nur wie frtiher die 50 km bis zum weltbertihmten Thingfeld (Thing-
vellir), sondern bis nach Fellsmúli in der Náhe der Hekla, das weite Stidland entlang bis
zu den groBen Strömen aus der Donnersmark (Þórsmörk) und zum Lande der Njáls-
Saga beim Hofc Haldenende (Hlfðarendi), ja bis zu den abgelegencn Siedlungen 'Ut-
skálar und Grindavík auf der lavatiberdeckten Halbinsel Reykjanes. Durch die weiten
Autoverbindungcn und die neuen Brúcken tiber einen groBen Teil der frtiher schwer tiber-
sclireitbaren Fltisse wird der Menschenverkehr wie die Guterbcförderung gewaltig er-
leichtert und gehoben. Der Tourist kann heute mit Leichtigkeit in kurzer Zeit manche
der interessantesten Teile des bewohnten Inlandes besuchen; und wen es in das unbe-
wohnte I.andesinnere zieht, crspart wertvolle Tage an Zeit und Reitbeschwerde. In
Reykjavík sind Pferde ftir Ausfltige jetzt schwierig odor nur zu tibcrtriebenen Preisen
zu micten; erst in weiter Entfernung von der Hauptstadt kann man — wenn auch zu
etwa doppeltem Preise von ehemals — seine Karawanc zusammenstellen.
Das Handclslcben scheint in Reykjavík zu bltihen. GroBhandel und Kleinhandel be-
hcrrschen das Feld; aufgeputzte Láden bis zur Art von W'arenliáusern bieten festlán-
dische Eleganz an, und selbst an kostbaren Frtichten wie Datteln, Bananen, Ananas,
Mclonen herrscht kein Mangcl. Zwar hat Island ein A Ikoholvcrbot, an sich ftir den, dcr
dic einstigen Verháltnisse kennt, ein groBer Fortschritt; aber lcichto spanische W’eine
muBten aus handelspolitischen Grtinden von dem Verbot ausgenommen wcrden. und
Wen es nun nacli schweren französischen oder sonstigcn Getránken, nach Champagner
oder Whisky geltistet, scheint bei der einmal vorhandenen Durchlöcherung des Allcohol-
verbotes keine groflen Schwicrigkeiten zur Befriedigung seiner Wunsche zu finden, vor-
ausgesetzt, daB ihm das nötige Geld nicht mangelt; wenigstens sah ich auf den StraBen
mitunter und nicht ganz vereinzelt stark schwankende Gestalten, deren Gangart kaurn
Von leichten Spanierweinen veranlaBt sein konnte; fast alle aber gehörten ihrer Klei-
dung und ihrem sonstigen Áufleren nach sicherlich zahlungsfáhigen Schichten an.
Auch tiber Reykjavfk hat die Elehtrizitát ihren Siegeszug vollendet; Haus- und StraBen-
bcleuclitung sind vorztiglich, und elektrische Beheizungskörpcr sind verháltnismáBig
■weit mehr in Gebrauch als in deutschen Stádten. Selbst abgelegene Höfe wie Munka-
l’veiá oder Kirkjubæjarklaustur haben mit Hilfe vorhandener W7asserfálle ihre eigene
Elektrizitátsanlage. Das Telephonverzeichnis Tslands ist cin dickes Buch. Eine Eisen-
tahn gibt es zwar, aufler eincr kleinen Gtitcrbahn von den Steinbrtichen an der Öskuhlfð
41
L