Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1927, Blaðsíða 4
forschen hiefi, ob nicht auch in einem anderen Lande Farben und Formen zu finden
seien, in die sich meine Psyche schaffensfroh einfuhlen könnte ? War es die seit Kindheits-
tagen genahrte Liebe zur nordischen Sagenwelt ? Auch die Flucht vor der Kultur hat
mitgesprochen, als ich ein Land suchte, in welchem nicht, wie bei uns, jedes Feld bebaut,
jede Wiese kunstgerecht angelegt, wo der Wald zum Forst gestaltet ist, wo die FluB-
ufer reguliert und die schönsten Berghánge von Villen und Gárten tiberdeckt sind.
Schliefilich wollte ich auch gern Wege gehen, die nicht vorher von allzu vielen betreten
waren. Italien wie Norwegen, der Orient wie Spanien, alles das ist auf allen Kunst-
ausstellungen zu sehen. Aber Island ? Wohl wird dort von einheimischen Kiinstlern
viel gemalt, doch gelangt kaum eins ihrer Werke zu uns. Von deutschen Landschaftern
hat Rudloff im vulkanischen Gebiet 1907 einen fruhen Tod gefunden, und der iiberaus
begabte Lifimann, der sich die Schilderung des Vogellebens am Mývatn zum Sonder-
gebiet erwáhlt hatte, ist durch den Heldentod aus seinem Schaffen abgerufen worden.
Wenn man mich fragen wollte, welche Vorstellung ich mir vorher von Island gemacht
hátte, so muBte ich sagen: „Gar keine.“
Unbefangen und uneingenommen kam ich in Island an. Und da erkannte ich sofort,
dafi ,/Isafold, die Meerfrau" ein starkes Werben, ein treues Minnen fordert. Die Ansicht,
daB die allsommerliche vierwöchentliche Studienreise gleichzeitig dem Landschafter als
Erholung dienen solle, verfliegt hier alsbald. Schnell und bequem sind Begriffe, welche
man verliert. Eilig reisen kann der Maler nicht, wenn er auch nur etwas von den
vielen Eindriicken festhalten will, er mufi bleiben, sich festsetzen, Wetterstimmungen
und Beleuchtungen abwarten und wiederkehren. Der Weg, welcher mir vergönnt war,
ist den Islandsfreunden wohlbekannt. Am 20. Juni kam der Dampfer „Island" in
Reykjavík an, lag drei Tage still, dann ging es nach 'Isafjörður, wo ein Aufenthalt von
einem Tage das Malen einer Studie zulieB. Weiter um die steilen Berge des Nórdwest-
landes. Der Dranga-Gletscher zeigte sich. Siglufjörður, Eyjafjörður, hinein nach
Akureyri. Dort blieb ich, etwas gegen meinen Willen, vier Wochen, besuchte den
Goðafoss (Goden-Wasserfall) und Mývatn (Miickensee) und machte mehrere Abstecher
nach Grund, Saurbær, Hólavatn und Möðruvellir. Die Berge Súlur und Vaðlaheiði,
die Glerá (GlasfluB) boten reichliche Motive. Zurúck gings nach Reykjavík, wo die
wechselnde Beleuchtung auf den Bergen Esja, Skarðsheiði, und Akrafjall mich tagelang
fesselten, und dann zum wúrdigen Schlufi ein Aufenthalt in Þingvellir (Ratsebene).
Der Kundige erkennt hieraus, daB ich doch soviel von Island gesehen habe, um seine
Luft und sein Licht, Wolken und Sturm kennenzulernen und die Seele seiner Landschaft
zu verstehen.
Gleich bei Gelegenheit meiner ersten in Island gemalten Studien — den Hafen von
Reykjavík vom Dampfer gesehen — fiel es mir auf, wie weit sich alle Linien im hori-
zontalen Sinne ausdehnen. Die Berge sind auffallend lang gestreckt, im Gegensatz zu
ihrer Höhe und man ist daher geneigt, die letztere zu unterschátzen. Diesen Eindruck
der úberwiegenden Breite habe ich immer wieder im Lande empfangen und gefunden,
daB die sonst gewohnten Bildformate sich hier im Sinne der Höhe schwer ausfúllen
lassen und daB man sie gern niedriger gestalten und breiter ziehen möchte, als es land-
láufig bei úns geschieht. Der Photograph macht die gleiche Erfahrung, indem er meistens
Bilder bekommt, die einen unerwúnscht groBen Vordergrund und ebenfalls eine úber-
máBig hohe Luft aufweisen, wáhrend das eigentliche Motiv nur einen schmalen Quer-
streifen ausfúllt. Selbst höheren Bergen gegenúber macht sich diese Beobachtung
geltend und der Bildkúnstler kommt auch hier so gut wie gar nicht zur Anwendung
des Hochformates. So heben sich z. B. bei Kap Horn die Berge steil und gewaltig
empor, jedoch niemals sondert sich einer von der Kette ab. Wohl sechs oder acht oder
mehr solcher Felskulissen kann das Auge beim Vorúberfahren gleichzeitig úberschauen.
So entstehen Bergreihen. Auch der zauberschöne Snæfellsjökull (Schneeberg-Gletscher)
bot mir, als ich ihn im Vorúberfahren in mein Skizzenbuch bannte, mehr den Eindruck
der Breite als den der Höhe infolge der sanften Steigerung seiner UmriBlinie. Selbst
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