Rit (Vísindafélag Íslendinga) - 01.06.1949, Page 239
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konkrete Einzelfalle bezugnehmende Erklárungen islandischer Beob-
achter hervor, die sich zum grossen Teil mit der von mir vorgetra-
genen Ansicht deckten, zum Teil auch in gewissem Widerspruch zu
ihr standen, im ganzen aber das schon vorliegende Beobachtungs-
material in sehr willkommener Weise erweiterten und abrundeten
(Náttúrufr., 1936, p. 151 u. 153). Dabei handelt es sich in beinahe
allen Fallen um die Erörterung einer einzigen, beiláufig schon im
ersten Teil dieser Schrift (p. 48) erwáhnten Frage, die das Verhált-
nis der Mantelmöve zum Seehasen (Cyclopterus lumpus) im Sinne
von Jáger und Beutetier zum Gegenstand hat. Im zeitigen Fruhjahr
sucht dieser durch seine massig-gedrungene Körperform charakteri-
sierte Fisch die flachen Kustengewásser zum Laichen auf und wird
dann — wie ich mich selber verschiedentlich iiberzeugt habe —
nicht selten von der Mantelmöve uberwáltigt und aufgefressen, ob-
wohl er diese an Körpergewicht oft erheblich, ja gelegentlich sogar
um ein Mehrfaches ihres Eigengewichtes iibertrifft. Náhere Unter-
suchungen zeigen, dass Angaben iiber derartige Beobachtungen vor
allem aus solchen Gebieten des Landes vorliegen, wo — wie in vie-
len Gegenden Westislands — der Meeresboden ein sehr geringes Ge-
fálle besitzt und infolgedessen bei Eintritt der Ebbe regelmássig
weite Fláchen des Untergrundes freifallen. Dabei kommt es im-
mer vor, dass einzelne Fische vom Niedrigwasser iiberrascht wer-
den und in Tiimpeln und Pfiitzen der Ebbezone zuriickbleiben, wo
sie das scharfe Gesicht der unablássig hin und her streichenden
Mantelmöven gewöhnlich bald erspáht. Hat sich die Möve des in
solcher Situation verháltnismássig hilflosen Fisches bemáchtigt, hackt
sie ihm zunáchst ein kleines Loch in die Seite, um die Leber zu
fressen. Derartige, im ubrigen ganz unbeschádigte Fische findet man
zur Laichzeit nicht allzu selten am Strand, denn wenn genugend
zur Verftigung stehen, begniigt sich die Möve mit der Leber, wáh-
rend sie im anderen Falle den Seehasen bis auf die Haut verzehrt,
die sie ausserordentlich geschickt auszuhöhlen versteht. Manchen
Ortes machen die Kustenbewohner sich diese Art des Fischfanges
der Mantelmöve zunutze, indem sie die Vögel zur Ebbezeit beobachten
und ihnen die Beute abjagen, die diese ihres Gewichtes wegen nicht
mit sich fortzutragen vermögen. Gelingt dies, ehe der Vogel mit der
Mahlzeit begonnen hat, sucht sich die Möve in der Regel einen neuen
Fisch, wird dieser ihr genommen, einen dritten, und so fort, bis sie
schliesslich der zwecklosen Bemuhung uberdrussig wird und weg-
fliegt, wáhrend die betreffenden Islánder, meist sind es Kinder oder
Frauen, auf billige Art und Weise zu einem Fischgericht gekom-
men sind.
Ausser der eben geschilderten Jagd im Wattenmeer, die auf die
Erbeutung des in seiner Bewegungsfreiheit behinderten Fisches ab-
zielt, soll die Mantelmöve den Seehasen jedoch auch unter norma-
len Bedingungen, d. h. auf freiem Wasser, mit Erfolg angreifen.
Obwohl hier zahlreiche Einzelfragen noch der Aufklárung bedurfen,
und insbes. der Umfang, in dem diese Methode zur Anwendung
kommt, und damit ihre biologische Bedeutung vor der Hand gar-
nicht eingeschátzt werden können, muss doch die Tatsache, zu der