Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1925, Qupperneq 6
— von der Verehrung Thors zu der Odins iibergegangen. Damit hatte ef
Sippe und Grundbesitz halbwegs verraten. Darum schutzte Thor seinen
Sohn Böðvar in Gefahr nicht. Von Odin aber war kein Schutz zu erwarten.
Der sammelte Mannen fúr Walhall, brachte Böðvar zu den friiher gefallenen
Verwandten, und das Interesse der Sippe kiimmerte ihn gar nicht. Ihm
hatte Egil Treue geschworen. Sollte er es ihm verargen, daB E. Kampf und
Dichtung aufgegeben hatte und Bauer und Vater geworden war? War er
von allem Glúck verlassen: fast ohne Kinder, ohne Gott, ein Wikinger —-
aber dabei an die Scholle gebunden, ein Bauer, aber ohne die Stútze der Ver-
wandtschaft ? Mit solchem Zweifel im Herzen wollte E. nicht leben.
Seine Tochter Þorgerð findet den Weg aus diesem Eabyrinth mit dem
Tiefblick der Frau, die mehr weiB, als sie selbst denkt. Nicht die Dichtkunst
soll seinen Schmerz stillen, sondern der Gedanke, daB sonst niemand ein Died
auf Böðvar dichten wúrde. Das Eied aber wird mehr als ein Nachruf, es
fúhrt den Dichter heraus aus den Irrwegen des Zweifels.
Erst wirft er die schwerste Búrde von sich, indem er seinen Schmerz aus-
spricht. Er spricht seinen Rachedurst aus und seine Machtlosigkeit in den
ergreifendsten Strophen. Und dann sieht er klar genug, um seine Beziehungen
zu Odin zu prúfen. ,,Doch gab Mims Ereund (Odin) Guten Ersatz Fúr böses
Ueid1" Das ist dieDichtkunst. Sie war seine Zuflucht und sein Trost, sie hatte
ihm zweimal das Eeben gerettet in Jorvik vor König Erichs Blutaxt und jetzt,
wo sie den Druck des Jammers von ihm nahm, daB er wieder atmen und leben
konnte. — Odin verdankt er auch den offenherzigen Sinn des Wikingers, der
trúgerische Eeinde zu offenen Gegnern macht, er hat ilim denMut gegeben
zu sprechen, statt zu schweigen. Damit hat er die zur Unaufrichtigkeit nei-
gende Schweigsamkeit des Bauern úberwunden. In der letzten Strophe stelh
er gegenúber den Bauem, der schweren Sinnes und wortlos der Hel entgegen-
sieht, und im letzten Stúck áuBert er sich, wie es in dem Hávamál heiBt:
„Munter und heiter Sei der Mánner jeder, bis der Tod ihn trifft" (Genzmef.
Edda II, 144).
So gewinnt der Wikinger seine Ereude wieder. Die Macht des Willens, die
Geschlossenheit in Egil, hat die Widersprúche úberwunden.
Ganz unparteiisch ist die Abrechnung mit Odin nicht; Egil will zu einem
festen Ergebnis kommen; er bleibt Odin treu, nicht um Odins willen, sondem
um seiner selbst willen. Er hált fest an dem Wechsel, den er in der JugenB
gemacht hat, und rechtfertigt ihn. So rettet er die Selbstachtung aus dem
Schiffbruch.
Und dieser Auffassung ist E. bis zum Tode treu geblieben. Das beweist
sein letztes Gedicht, das Uied auf den treuen Ereund Arinbjörn und seine
1 Niedner (S. 232) setzt auffalligerweise dafiir ein: „riihrigsten Freund".
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