Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1925, Síða 10
bei Reykjavík zum Hafen, mangels uberzeugender wirtschaftlicher Ertragsmöglichkeit
noch nicht; an ilirer Stelle ist aber ein starker Lastautoverkehr mit anscheinend sehr
guten Erfolgen im Betrieb.
Das geistige Leben Islands zeigt in Reykjavík reiche Betatigung. Von den am i. Sep-
tember 1924 auf Island gedruckten 58 Zeitungen und Zeitschriften entfielen auf Reyk-
javík nicht weniger als 44, darunter 3 politische Tageszeitungen, 6 politische Wochen-
blátter, 4 Jugendschriften, 1 Frauenblatt, 1 Musikzeitung, 1 Sportzeitung usw. Die
Búcherbroduhtion ist sehr betrachtlich; ich brachte an 300 Bande neuere und neueste
Literatur aus Island mit. Das Parlament des jungon, im Dezember 1918 ins Leben ge-
tretenen selbstandigen Königreiches Island, dessen König der König von Island und
Danemark ist, und dessen 42 Abgeordnete zurzeit aus 20 Konservativen (sonderbarer-
weise hauptsöchlich Angehörige von Handel und Gewerbe), 15 Fortschrittlern (sonder-
barerweise hauptsachli ;h Bauern), 6 Selbstándigkeitspartcilern und 1 Sozialisten sich
zusammensetzen, und ebenso die islándische Regierung haben ihren Sitz in der Haupt-
stadt. Hier ist auch die Universitdl mit einer auserlesenen Schar tiichtiger islándischer
Gelehrten aus 4 Fakultáten, das Gymnasium mit weit iiber 200 Schiilern, eine Anzahl
von Fachschulen usw.; hier ist der Sitz des lutherischen Bischofs und der vor kurzem
in Anwesenheit des Kardinals van Rossum aus Rom feierlich errichteten pápstlichen
Práfektur. Hier sind in dem neuen aus behauenen Stcinen errichteten Prachtbau „Saf-
nahús" die wundervollen beachtenswerten Sammlungen der Landesbiichorei, des Lan-
desarchivs, der islándischen Altertumer und das Naturalienkabinett. Das groCe Gebáude
ist uberfúllt, aber die islándische Finanznot und unabweisbare Sparpolitik gestattet
einstweilen nicht, die wúnschenswerten neuen Bauten aufzufúhren. Dringendere Aus-
gaben mússen fúr Wego- und Brúckenbau, fiir Leuchttúrme und Hafeneinrichtungen,
fúr die wichtige Waldkultur, fúr Nutzbarmachung der Moore und tausend andere wirt-
schaftliche Erfordernisse bewilligt werden; und fúr alles dies reichen im Augenblick die
Steuern und sonstigen Staatscinnahmen nicht. Island war vor nicht allzu langen Jahren
schuldenfrei; heute drúckt den Islánder eine Schnldenlast, die im Durchschnitt auf den
Kopf einer Summe von ungefáhr 500 deutsclien Goldmark gleichkommt.
Die Verháltnisse habcn auch den Charahter des Volkes — selbstverstándlich — ver-
ándert. Der Islánder ist gegenúber frúber viel selbstándiger, viel selbstbewuBter, in
mancher Beziehung viel túchtiger geworden. Mit dem Unternehmungsgeist ist bei man-
chem aber auch sein Schatten, der úbermáCige Erwerbsgeist, die Erwerbsgier eingezogen.
Treu und Glauben, Edelsinn und Freundschaft gelten auch heute noch recht viel auf
Island und bei weitaus den meisten des Volkes dúrfon wir fest darauf bauen; aber leider
sind — dies ist mein subjektiver Eindruck — diese Tugenden doch nicht mehr bei
ebenso vielen vorhanden, wie dies frúher der Fall war. Gerade aus dem Umstande,
daC ich selbst auf Island zahllose Beweise der schönsten Tugenden und cdelsten Cha-
raktereigenschaften vieler Islánder empfing, mag sich crgeben, daB diese Beobachtung
und mein Urteil darúber, das mir nicht leicht wurde, kein leichtfertiges ist. Wie
Wolinungsnot, Teuerung, Wálu-ungsverfall, bald Arbeitslosigkeit, bald Luxus, Unsolidi-
tát, Spekulation und Spiel, so ist auch im Verfall der sittlich hohen Lebensanschauung
und Lebensbetátigung seit Beginn des Weltkrieges Island uns Leuten des úbrigen Europa
und darúber hinaus nur allzu sehr nachgefolgt.
Als höchst moderne Kunstler fúhlt sich eine Schicht der Islánder heute. Wir findcn
ueben dcn zahllosen Dichtern aller Grade begabte Musiker, Maler, Architekten, Bild-
hauer. Wir mússen den FleiB anerkennen, den sie aufwenden, und die groBen Opfer
bewundern, die viele von ihnen persönlich bringen. Ob die Erfolge stets ausreichen, und
ob die EinbuCe an wirtschaftlichen Kráften stets vollen Ersatz durch die kúnstlerischen
Leistungen findet, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Fúr F.inar Jðnsson's, eines
Schúlers des groCen Sinding, zum Teil wirklich hervorragende plastische Kunstwerke
Lst auf der Höhe der skólavarða in Reykjavík ein eigenes Schauhaus in úbermodorneno.
Stil erbaut. Einige neue Denhmáler in Reykjavík finden sehr geteilte Beurteilung. Em
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