Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1925, Qupperneq 15
weilt, hatte ihn eingefiibrt, wie er spáter noch einen dritten — 'Arsoell Sigurösson —
nitbraclite. Dieses Kleeblatt bildete dann die Gcsamtheit der reguláren islándischen
Studentenschaft in Leipzig. Eigentlich begriffen wir nicht ganz, wie sie sich bei uns
Wohlfuhlen konnten; denn sie waren bei unsern Zusammenkiinften meist stumme Zu-
hörer, obwohl sie alle unsere Sprache einigermaCen beherrschten, man kann sagen:
SUt. — Spáter haben sie uns das Geheimnis verraten: was sie fesselte, war, daB man bei
Uns den Menschen wertete, da(3 man auf Qualitat achtete, dafl sie „Kerle" unter uns
gefunden batten.
Im Laufe det Zeit kam Jóhann daliinter, dafl ich Verse schrieb, und ich erfuhr, dafl
er ein ausgezeichneter Sprecher sei. Ich war gespannt, wann ich ihn einmal zu hören
bekommen wiirde. Es sollte ziemlich lange dauern und nur einmal durch Zufall geschehen.
Im Winter 1922/23 begann ich Jóhanns Frau Deutschunterricht zu geben. Aber
Nikolína hátte das eigcntlich gar nicht nötig gehabt; denn sie verfiigte iiber ein so
natiirliches Sprachtalent, wie ich es áhnlich nicht wieder kennengelernt habe. Nach
und nach wurdc ich mit der ganzen Leipziger Kolonie bekannt und hatte eine ganze
Reil)e Schiiler. So eignete ich mir auch manche Wendung aus ihrer Sprache an. Am
ttieisten lcrnte ich von Nikolína, die eine Unterrichtsgabe in der Unterhaltung ent-
faltcte, wie sie in dieser Art nur Frauen eigen ist. Schliefllich begann ich eines Tages
wit Ubersetzungsversuchen. Spáter unterstutzte mich Jóhann dabei, und ich ver-
deutschte einige seiner Gedichte, kurze Proben aus seiner Piosa und auflerdem ein paar
Gedichte bekannter Autoren.
Im Januar 1923 war es, dafl einer aus der Runde, ein junger Kaufmann, Namens
Björn Jónsson, nach seiner Heimat zuriickging. Da fand sich das ganze Völkchen zu
®iner Feier zusammen: ein Dutzend Köpfe; ich als ihr Freund war mit eingeladen. Es
ging lustig und traurig her. Wenn ich daran denke, liegen mir noch heute die schwer-
^títigen Melodien ibrer Gesánge im Blut. Und dann klangen Gláser, und es hiefl:
»Jóhann!“ Er sollte sprechen. Ich selie noch sein Gesicht und habe es seither manch-
®al so unmutig gesehen. Es war ihm eine Qual. — ,,Ich kann das nicht!" — Aber
schliefllich erhob er sich und es packte dich und brauste tíber dich her wie ein Un-
'vetter und du warst machtlos. Keiner wagte sich zu ruhren. Alles war wie gelalimt.
Seine Stimme, seine Mimik, seine Geste —: Du warst ganz in seinem Bann. Plötzlich
brach er ab und jetzt erhoben sich alle und jubelten ihm zu. Mich hatte der deutsche
Sprecher Ludwig Wullner máchtig gepackt, aber etwas Álmliches wie in dieser Stunde
'war mir noch nie geschehen.
Seither liabe ich das gleiche mehrfach wiedererlebt, vor Menschen, die kein Wort
seiner Sprache verstanden, jedesmal in einem anderen Kreise, und jedesmal war es ein
bleiner Triumph: sei es unter Freunden, vor Gelehrten oder Ktínstlern oder vor der
Öffentlichkeit. Einer der schönsten Abende war der im Verein, da die ganze Kolonie
anter uns zu Gaste war: Musik, Lieder, Dichtung und ein interessanter Vortrag Arnfinns
tíbor eigenartige Bráuche in Island, besonders von allerhand spukhaften Dingen und
Gespenstergeschichten in der nordischen Literatur. Einar Benediktssons, des groflen
Lyrikers und Ibsen-Ubersetzers, Tochter weilte damals mit unter uns. —
Ganz unvergeBlich bleiben mir auch jene Stunden, da ich Jóhann und Nikolína
e,nst um Mitternacht heimbegleitete und er dann sein Manuskript von „Blaukleidchen"
(Blákjóll) hervorholte und das erste Kapitel las, ganz in der traumhaft weichen Stim-
fnUng des islándischen Sommcrs, wenn die blonde Frau auf dem steinernen Kahn vom
^fcere lier tíber Nacht ans Ufer kommt, ganz leise tíber die Berge geht und die Mar-
Knriten aufkUBt. — Jóhann ist immer unwillig, wenn Landsleute seinen Stil in diesem
Napitel mit der Schreibweise Knut Hamsuns vergleichcn und dadurch ilir höchstes
f-°b ausdrtícken wollen; dann sagt er: „Ich habe das ein paar Jahre vorher geschrieben,
ebe ich die erste Zeile von Knut Hamsun gelesen habe." — Der Morgen graute, als ich
nieino Wohnung wieder betrat, noch ganz berauscht von dieser Weichheit. —
Önd dann erreichte mich aus dem Harz einmal sein GruB. Es war just vor Jabres-
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