Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1925, Síða 16
frist um die Osterzeit. Da scbrieb er dort in aller Stille an seinem „Modell", einer deut-
schen Liebesgeschichte nach Erlebnissen aus seiner Studentenzeit. „Das widme ich
Dir", hatte er mir schon immer erzáhlt. Es geht durch den Anfang dieses Werkes der
starke Erdgeruch dcr Acker im Frtthling, der den Naturmenschen nachts kein Auge
zutun láfit, und enthált das unságlich traurige Zwiegesprách zwischen Wind und Mádchen:
„O sag’ mir, hast du den Frtihling gesehn,
Wind in der Nacht?" —
„Was fragst du, ob ich den Frtthling gesehn ?"
Raunt Wind in der Nacht. —
„WeiBt nicht, mein Sehnen ist schuld und dein Welin,
Und schlaflos die langen Náchte vergehn,
O Wind in der Nacht!" —
„Bist du’s, die da wartet auf fröliliche Kunde?" —
„Ja, ja ich bin’s!" —
„Die sehnend harret Stundc um Stunde?" —
„Ja —, ja ich bin’sl" —
„Die schaut, ob die schwellenden Knospen schon springen,
Weil ilir der Frtihling den Liebsten soll bringen?” —
„Ja —, ja ich bin's!" —
„So warte nicht mehr, zur Ruhe sollst gehn!"
Raunt Wind in der Nacht.
„Wohl, wohl —, den Fruhling — ich hab’ ihn geselin",
Raunt Wind in der Nacht.
„Doch bleich war sein Antlitz, den Tod sali icli stehn,
Hört’ ein klagendes Lied von den Lippen noch flehn —
Wie Wind in der Nacht. ..."
Jóhann hat mir unterdessen manches erzáblt, von seinon Eltern, einfachen Fischers-
leuten, von dem abergláubischen Bauern, bei dem er als neunjáhriger Knabe in Diensten
stand und der ihn halbtot schlug, als er sich an einem heiBen Tage in der Heuernte
mtide auf die Erde neben seinem Rechen hinwarf, dessen Zinkcn nach oben zeigten1,
und dabei ausrief: „Ach Gott, wenn es doch bald regnen wollte!" Er hat mir auch von
dem andern Bauern erzáhlt, der den damals Elfjáhrigen mitten in der Nacht wegen
ein paar verlorener Schafe, die sich in den Steinöden von der Herde veriirt hatten,
in die Wildnis hinausjagte und ihn mit dem Tode bedrohte, falls er unverrichteter Sache
wieder zurtickkelirte, er hat mir erztihlt von seiner Flucht in dieser Nacht und am
folgenden Tage durch die Einöden und den reiBenden Strom nach dem rettenden Eltern-
hause, er hat geplaudert von der Romantik seiner Gymnasiastenjahre, da er in der
Hauptstadt Reykjavík einmal im vornehmsten Haus und ein andermal in einer be-
scheidenen Htitte in der Gesellschaft der Máuse gewohnt hat, und von so manchen
abenteuerlichen Erlebnissen.
Er hat mir schlieBlicl) erzáhlt von dem Winter, den er mit dem groBen Matthías
Jochumsson verbrachte, dem feurigen Greis, der mit jedem Jahre jtinger wurde und
gltihendere Verse schrieb und 1919 als 85jáhriger gestorben ist, dem gröBten islándi-
schen Shakespeare-Obersetzer, hochgeehrt durch England, dem Hbersetzer von Byrons
„Manfred" und anderen groBen Dichtungen der Weltliteratur, er hat mir erzáhlt, wie
der alte Matthías sein Werk seinem Munde anvertraut hat.
Jóhann ist trotz trtiber Erfahrungen, die er bei uns in Deutscliland gemacht hat,
cin unerschtitterlicher Freund unsres Volkes und seiner Geisteskultur. Dartiber lieBe
sich einmal ausftihrlicher berichten. Er hat manches ftir uns getan, und das ist um so
höher zu wcrten, da er kein Blinder ist, der alles unbeseheD verherrlicht, sondern seh1
wohl all die Schwáchen unserer Nation sieht, ja sie gar oft am eignen Leibe unangenehm
versptirt hat. ___ _
1 Es ist ein alter Aberglaube, daB der Rechen in dieser Lage den Regen herbeizieht-
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