Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1927, Blaðsíða 5
in der deutschen Flachlandschaft sind wir doch an ein liaufiges Vorkommen senkrecht
aufstrebender Linien, in Gestalt von Báumen, gewöhnt — die in Island ganzlich fehlen,
und gerade auf dem Vorherrschen der wagerechten Richtung in diesem Lande beruht
der Eindruck der Ruhe, die sich immer wieder zur ergreifenden Melancholie steigert.
Keineswegs jedoch kann man die islandische Landschaft im malerischen Sinne ruhig
nennen. Diese Bezeichnung wendet der Maler an, wenn sich ihm einfache groBe und
nicht durch viele Einzelheiten und Kleinigkeiten zerteilte Fláchen entgegenstellen, und
gerade die gegenteilige Erscheinung tritt hier zu Tage, denn eine úberfulle von Formen
erschwert es, zu einer groB-einheitlichen Bildwirkung zu gelangen, welche die Einzel-
heiten bándigt und sie der Ganzheit unterordnet. Schon die Luft ist nie ohne Wolken,
selbst wenn einmal der Himmel blaut, steigen iiber den kalten Bergen stets dicke Ballen
auf, welche die zarten Töne der Ferne beeintráchtigen. Der Schnee hilllt nicht die
Gipfel gleichmáBig ein, vielmehr gibt er uberall mit den Felskanten scheckige Muster.
Dabei ist die Luft uberaus durchsichtig, so daB alle Kleinigkeiten weithin unverschleiert
bleiben und Irrtömer in der Entfernungsschátzung hervorrufen. Die Felsen, zerrissen
und von Erdbeben durcheinandergeschiittelt, wechseln mit Sturzbáchen und Wasser-
fállen ab und wenn in andern Lándern der Rasen groBe glatte Fláchen bildet, so ist er
liier — sehr eigentiimlich — von lauter kleinen, meterlangen Buckeln „dicbt bei dicht“
durchsetzt, sehr unbequem zum Gehen und noch melir zum Malen. Wenn noch Stein-
blöcke dazwischen liegan, wiinscht man förmlich, daB nicht auch noch die Sonne ein
Spiel vonLichtern und Schlagschattenhineinschiitten möchte. Esgehört groBe Erfahren-
heit dazu, sich gegeniiber der Mannigfaltigkeit vor Verwirrung zu bewahren. In keinem
anderen Lande ist mir diese Tatsache so entgegengetreten, wie hier.
Wie uberall auf der Welt, gibt es auch hier weite und breite Gegenden, die den Maler
gleichgultig lassen, wáhrend die groBziigigen und wirkungsvollen Motive spárlich ein-
gestreut sind. Bei einem ganzen Tagesritt kann man manchmal die Wiistenstimmung,
den gewaltigen Ernst der Einöde mit offener Seele genieBen, ohne sich zum Ansetzen
des Zeichenstiftes bewogen zu fiihlen, bis dann plötzlich die lange Miihsal reich belohnt
wird. So liegt der herrliche GoðafoB (Goden-Wasserfall) in einer weiten reizlosen Ein-
öde, die nichts Sonderliches zeigt. Zwischen weit ausgedehnten Gleichgultigkeiten und
Formlosigkeiten gibt es wahre Malerparadiese, wie Mývatn und Þingvellir.
Aber stárker wie sonst auf der Welt gibt es hier eine Erscheinung, die auch Einöden
zum Paradiese zu gestalten vermag und die gerade in einfachformigen Gegenden sich
stárker auszuwirken vermag als in formenreichen: die Beleuchtungsstimmung. Selbst
ein Alpengliihen kann nicht aufkommen gegen die Lichtwirkungen, die ich am Mývatn
bei Grímsstaðir wahrnahm und die nicht nur wenige Minuten, sondern die halbe Mitt-
sommernacht andauerte. Und jene Fahrt von Kap Horn bis Tsafjörð bei tiefstehender
Sonne bleibt unvergeBlich, da das Abendgold einen Gipíel mit aller Kraft hervorhob
gegen die anderen, die in abgetönter Reihenfolge in die blauen Schatten versanken,
ebenso jener flammende Himmel uber dem Eyjafjörð bei Akureyri, der Scharen von
Gestalten in blutigen Fluten uinherschweben lieB, die sich ballten und lösten wie in
einem Kampf um ewiges Glúck oder Leid.
Wer die gewaltigen Eindriicke zu erfassen und sich auf den riesigen Ernst des Landes
seelisch einzustimmen vermag, der wird auch das nicht entbehren, was der Kunstphi-
lister in erster Linie vom Landschaftsgemálde zu erwarten pflegt: das Idyllische. Dies
findet man in Island nicht. Allein das Fehlen des Baumwuchses bringt es mit sich,
daB heimliche lauschige Haine, verborgene Winkelchen und traulich beschattete Heim-
státten nicht vorhanden sind. Das islándische Bauernhaus liegt offen und unverdeckt da.
Falls es neuerdings gebaut ist, zeigt es sich nuchtern reizlos, ist es álter, so kann man
wohl die Bauart aus Erdschollen anstaunen, doch einen freundlichen Eindruck erhált
man nicht. Stadt und Land zeigen ehrliche Deutliclikeit und entsprechen darin dem
Charakter der Bewohner. GieBbáche plátschern iiber die Steine, aber Schilf und Farren-
kraut umkránzen sie nicht. Und doch ist Island das Land der Dichter, und seine Reize
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