Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1927, Side 22

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.01.1927, Side 22
Meine Mutter ist so unvorsichtig, etwas davon zu murmeln, daB es vielleicht am besten wilre, Nonni gleich zum Arzt zu schicken. Kaum ist ihr das Wort entschlúpft, als die alte Begga sich erhebt, ihre Arbeit abbricht und anfángt, ihre Kruken wieder in den Beutel zu packen. Erst nachdem meine Mutter und Madame Anna gebettelt und ge- beten haben und zwischendurch sich geringscliátzig uber Árzte im allgemeinen und úber unseren im besonderen geáuBert haben, láBt sie sich darauf ein, mich nicht halbge- schmiert liegen zu lassen. Eine meiner alleráltesten Erfahrungen ist die, daB Frauen es nicht ertragen können, einen J ungen oder einen jungen Mann in ihrer Nahe zu sehen, ohne ihn schleunigst hier- hin oder dorthin zu ,,schicken“. Und so dauert es denn auch gar nicht lange, bis Ma- dame Anna Nonni hinunterschickt mit dem Bescheid, es sollte eine Tasse Kaffee gemaclit werden. Sollte Skjónis FuBtritt mir wirklich meine erste Tasse Kaffee einbringen ? Nonni geht und Nonni kommt wieder, und Nonni wird hinuntergeschickt, um zu be- stellen, es sollten auch Pfannkuchen gebacken werden. Da herrscht allmahlich die hei- terste Stimmung um mein Schmerzenslager, und ich liege so still wie möglich, damit ich auch etwas von der Vergnúglichkeit haben kann. Zwar tut mir mein Kopf sehr weh, aber ich schlucke die Schmerzen mit der Schokolade herunter, freue mich auf die Pfann- kuchen und den Kaffee, den es vielleicht gibt, und lache mit, wenn Madame Anna etwas Ergötzliches sagt — selbst wenn ich nicht immer verstehe, was eigentlich das Ergötz- liche daran ist. J edesmal, wenn Nonni sich zeigt, fángt es in den drei Frauenhirnen um die Wette an zu arbeiten: die alte Begga „schickt" ihn wegen einer Schere, meine Mutter wegen ihres Schlússelbundes, das ihres Wissens da oder da liegt, und das sie schlieBlich in ihrer Tasche findet, die alte Begga wiederum wegen ihres Kandisbeutels, Madame Anna wegen eines neuen Kaffeebeutels, der in der zweitobersten Kommodenschublade rechtsliegt, meine Mutter wegen einer HandvollKornfúr einpaarVögelchen, die drauBen vorm Fenster kreisen, und Madame Anna láBt ihn, da jetzt der Kaffee und die Pfann- kuchen endlich erscheinen, Siggas Papa holen. Ich weiB aus Erfahrung, was das heiBt: geschickt zu werden, und deshalb tut Nonni mir leid. Mein Mitleid hat aber auch noch einen anderen Grund. Ich habe mir námlich die Meinung in den Kopf gesetzt, daB Skjónis Tod fúr ihn etwas sehr Schlimmes ist, etwas, das er sich recht zu Herzen nehmen muB. Es kommt mir so vor, als ob er irgend- wie daran schuld sei. AuBerdem habe ich noch einen dritten Grund, námlich, ich glaube ihm ansehen zu können, daB er sich auch an dem, was mir zugestoBen ist, schuldig fúhlt. Diese Grúnde, in Verbindung mit meinem eigenen Glúck, das so úberwaltigend ist — meine Mutter hat mir gerade súBe Suppe fúr jeden Tag versprochen, bis meine Schram- men heil sind —, stimmen mich weich ums Herz. Und so ist denn das Ende vom Liede, daB ich Nonni ans Bett rufe und ihm schúchtern ins Ohr flústere: „Du sollst dich nicht darúber aufregen, lieber Nonni; — du kannst gern meinen Vigi kriegen!“ Nonni láchelt sein sanftes Lácheln und streichelt mir unbeholfen die Backe. Es zuckt ein paarmal um sein flaumiges Kinn. „Danke, Uggi“, sagt er leise, — „wenn wir beide bis zum Herbst leben ..." Mehr bringt er nicht heraus, aber er bleibt stehen und streichelt mir die Hand. Ich weiB reclit gut, daB seine Worte keinerlei Zweifel an unserer Lebenskraft ausdrúcken, sondern daB er sich da nur so ausdrúckt, wie seine Mutter es ihn gelehrt hat, wenn es sich umdieZukunfthandelt. SichergiltseinunausgesprochenesGelöbniseinem Stúck Spielzeug, das er mir kaufen will, wenn er um die Schlachtezeit zum Handelsplatz hinunterkommt. Ich beschlieBe eilig, daB es ein Pferd sein soll, ein richtiges Pferd mit Schwanz, Máhne und auf Rádern — so eins, wie meine Kousine Greta einmal gehabt hat —, und gerade will ich Nonni mit meinem Wunsch bekannt machen, da geht hurtig die Túr auf und mein Vater tritt ein. Meines Vaters Erscheinen rief eine eigenartig unruhige und fúr mich áuBerst pein- liche Stimmung in der Stube hervor. Alle Anwesenden, auch meine Mutter, sahen ihn 42

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