Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1922, Qupperneq 13
Richter Karl Einarsson. Sehr interessant waren auch unsere Besuche bei
dem hervorragenden Schriftsteller Indriði Einarsson, dem Reichsarchivar
Dr. Jón Þorkelsson und Professor Dr. Guðmundur Hannesson. Fast jeden
Tag friihstiickten wir zusammen mit dem Richter und Politiker Gísl
Sveinsson, seiner Frau und kleinen Tochter, und ich erfuhr von ihm viel
uber die politischen Verhiiltnisse Islands1.
Beider traf ich den hochbegabten Bischof Islands Dr. J ón Helgason nicht,
welcher zu einer Visitation verreist war. Ich traf ihn aber im folgenden
Jahr in Stockholm, da er mich bei seiner Schwedenfahrt besuchte.
Reykjavík ist einé Stadt, welche sich mehr und mehr entwickelt. Sie
hat 18 ooo Einwohner. Die meisten Hauser sind aus Holz, teilweise mit
galvanisiertem Blech bekleidet, was wohl praktisch, aber nicht schön ist.
Viele StraBen sind mit Asphalt belegt. Mitten in der Stadt liegt der groBe
Markt, Austurvellir. An der Súdseite des Marktes liegt das Alltingsgebaude
und die kleine Domkirche, die ein sehr schönes Taufbecken von Thorvaldsen
hat. An der Westseite liegt die Apotheke, an der östhchen Seite ein modernes
Riesengebaude mit Bank, Kontor, das Röntgen- und Radiuminstitut des
Herrn Dr. Claessen, zwei zahnarztliche Kliniken und die stattliche Woh-
nung der Freimaurerloge, Auf der Nordseite ist ein groBes Grundstúck
abgebrannt, welches jetzt leer daliegt.
Das Alltingsgebaude ist aus islándischem Stein, in schönem Stil gebaut.
In den unteren Ráumen sind die Eehrsále der Universitát, die noch kein
eigenes Gebáude hat. Eine Treppe höher liegen die verschiedenen Ráume
des Alltings, dessen beide Kammern Tribúnen fúr die Zuhörer haben. Ich
hörte mehrmals die Debatten, und der erste Minister hatte die Freund-
lichkeit, mich einzuladen, diesen vom Ministerzimmer aus beizuwohnen.
Da es keine Gemáldegalerie in Reykjavik gibt, hat man die Malereien im
Alltingsgebáude aufgehángt. Dort findet man die schönsten Sachen von
alten und neuen Meistern. Ebenso gibt es mehrere Skulpturen von islán-
dischen Bildhauern.
Reykjavík ist rund um einen Binnensee, Tjörn, gelegen, und die Men-
schen haben dort alles verschönt. Wildenten und andere Vögel haben es
auch sehr gut dort und halten da lustige und muntere Gespráche. Am See
liegen dieFreikirche, die höhere Mádchenschule, Ministergebáude, Bischofs-
haus.KonzertsaalundTheatersaal.letztereinsehrunansehnlichenHolzháusern.
1 Herr Bjarni Jónsson frá Vogi hat sich um die Freiheit Islands sehr verdient ge-
macht. Er ist ein wahrer Staatsmann und Fiihrer. Er doziert griechisch an der Uni-
versitát Islands und ist Vizeprasident der II. Iíammer und Mitglied der zwischenstaat-
lichen islándisch-dánischen Kommission. Er hat vieles aus dem Deutschen und Schwe-
dischen ins Islindische iibersetzt, zuletzt eine sehr gute Ubersetzung von Goethes Faust
veröffentlicht,
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