Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1922, Síða 20
diese Mittel níitzen alles nichts gegenTraum- und Phantasievorstellungcn; man sclilagt
ihnen den Kopf ab und legt ihn zwischen die Beine, man hammert sie mit einem Pfahle
fest: alles umsonst. SchlieClich sucht man den zweiten Tod zu beschleunigen durch
Verbrennen; und auch dann ist er noch nicht erledigt (vgl. Thorolf HinkfuB in der
Eyrbyggjasaga-Geschichte vom Goden Snorri, Thule VII, cap. 33, 34, 63). Und darauf
muBte man erkennen, daB der Tote und Vernichtete in Traum und Phantasie doch wie-
derkam, daB also — so muBte man jetzt schlieBen — das Leben gar nicht im Leibe sitzt,
nicht der Leib und nicht die Gebeine ist, sondem in einem geheimnisvollen Ding, das den
Leib im Tode, dann aber auch im Schlaf und Tod verláBt. So ist der Begriff „Seele“
nichts anderes als eine Antwort auf die Frage nach dem „Sitze des verborgenen Lebens".
SchlieBlich liefert das Wort „Seele" selbst einen Beweis, wie relativ jung der Begriff
ist: die Goten und Westgermanen haben es zuerst, die westlichen Nordgermanen ent-
nehmen es von den Angelsachsen, die Schweden von den Sachsen. (Vgl. auch Neckel
Walhall S. 48 f.) Die Verbindung mit griech. aiófog liegt nun sehr nahe.
2. VOM SCHUTZGEISTERGLAUBEN
Auf die Frage nach dem Sitze des verborgenen Lebens wird noch eine andere Ant-
,/"\wort gegeben. Essitzt in diesem oder jenem Tier. Man bedenke,daB der Primitive
den Unterschied zwischen Tier und Mensch noch nicht erfaBt hat; so mochte es wohl
manchem nach dem Tode eines Angehörigen, dessen LebensáuBerungen man vermiBté,
so vorkommen, als sehe ihn das oder jenes Tier ganz anders an als vorher, und der Ge-
danke kommen, sein Leben sitze in diesem Tiere. [DaB man im Blick eines Tieres den
eines verschwundenen Menschen zu sehen glaubte, belegt z. B. die Erzáhlung von Björn
und Bera in der Geschichte von Hrolf Kraki, iibers. von P. Herrmann, Torgau 1905,
S. 54.] Da aber das Leben, das nach dem Tode des Menschen in dem Tiere sich zeigt,
schon vorher in diesem gewesen sein muB, so besteht ein geheimnisvoller Zusammen-
hang zwischen dem Menschen und seinem Sympathietier. Man muB das Tier töten,
wenn man den Menschen töten will, und stirbt das Tier, dann stirbt der Mensch unbe-
dingt (vgl. Geschichte vom weisen Njal, Thule IV, S. 103, Thords Bock). Mit der Seele
hat das gar nichts zu tun. (Es fiihrt bei vielen Völkern zum Totemismus.) Auf Island
erscheint diese primitive Auffassungsweise vom Sympathietier vor allem im Traum-
erlebnis und in visionáren Erzáhlungen. Die Eigenschaften, die fiir den Menschen be-
zeichnend sind, liegen auch bei der Vorstellung des Sympathietieres zugrunde. (Aus
den Eigenschaften des Tieres, das im Traume erscheint, schlieBt man auf den Menschen,
dessen Ankunft zu erwarten ist, vgl. Geschichte vom weisen Njal, Kap. 23; aus dem
Báren wird auf Gunnar geschlossen.) In weiterer Entwicklung ist im Nordischen aus der
Vorstellung des Sympathietieres die der fylgja (oder im Plural: fylgjur) entstanden,
d. h. die fylgja ist urspriinglich das Sympathietier. Daran hat sich aber dann spater
eine animistische Vorstellung angeschlossen, die deutlich hervortritt, wenn z. B. die
fylgjur einschláfernde Wirkung ausiiben (ebenda Kap. 69); in diesem Falle wird dann
auch nicht mehr gesagt, in welcher Gestalt sie erscheinen. Eine Erinnerung an den ur-
spriinglichen Zustand aber ist erhalten, wenn der Schutzgeist, zur Geliebten oder Gattin
geworden, in Tiergestalt erscheint: wenn der Held aus Versehen dieses Tier tötet, ist
seine eigene Lebenskraft dahin, Damit ist der Ubergang zu anthropomorpher Auffas-
sung gegeben. Das Sympathietier war zum Schutzgeist und dieses zur Sympathiefrau
geworden; die ungeheure Stárke ist geblieben. Das Zusammengehörigkeitsgefuhl des
Schutzgeistes mit dem Beschiitzten erstreckt sich nicht nur auf die Einzelperson, es
geht auf die ganze Sippe, wie denn Signy in der Völsungensaga ihrem Vater erklárt,
Siggeir nicht heiraten zu können, weil sie von ihrem Familien- oder Sympathiewesen
(Schutzgeist) weiB, daB diese Verbindung Unheil bringen wiirde. Die Vorstellung von
einem Schutzwesen wandelt sich dann in eine Mehrheit von solchen. Oft begegnen
MiBhandlungen Angehöriger durch Schutzgeister, insbesondere in der Ubergangszeit
vom Heidentum zum Christentum, die Rache fiir den Glaubenswechsel. Und wie noch
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