Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1922, Side 27

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1922, Side 27
Wieder sind es lauter liebenswerte Personen, die uns entgegentreten. Doch will ich den feinen Reiz dcr Erzahlung niclit durch Inhaltsangabe zerstören. Zwei Liebende erfahren schlieBlich, daB sie Geschwister sind. Auch hier ist wichtiger alsderStoíf selbst die Art, wie alles erzahlt ist. Der Verf. ist eine gliickliche, optimistische, aber keineswegs oberflachliche Natur. „Wenn die Scheiben der Seelenfenster weiB sind vom Rauh- reif, muB man sie abklopfen; wer weiB, ob nicht die Sonne der Freude drauBen scheint ? Die Menschen diirfen nicht in ihrer Enge bleiben, stillsitzen und kein Glied rtihren, und die Seele immer mehr von Kálte durchdringen lassen; sie mtissen Kummer und Sorge abstreifen, wegklopfen." Ist das Bild nicht htibsch und ftir Island besonders passend? Eine Naturschilderung will ich hersetzen, die aufs Geratewohl herausge- nommen ist. „Es war gegen Sonnenaufgang, der Horizont leuchtete in rotem Golde. Noch war die Sonne nicht tiber die Bergspitzen emporgekommen, ihre Strahlen brachen sich in leichten, weiBen Wolkenmassen, die verschiedene buntschillernde Gestalten an- nahmen. Sie wiegten sich tiber den Gletschern wie eine Menge elektrisch beleuchteter Luftschiffe, die langsam und feierlich sich emporbcwegen. Die Wolkenmassen waren rot, grtin und goldgelb, in manchen mischten sich diese Farben zusammen. Nach und nach zogen sie immer höher cmpor am Firmament und zerteilten sich schlieBlich. Dieses Emporstreben der Wolken war ein herrlicher Anblick in der Stille des Sonntags- morgens. Und darunter leuchtete der schneeweiBe Gletscher, und zwischen den Wolken trat der klare, blaue Himmel hervor." Ich frcue mich darauf, von dem Verf. mehr zu lesen. 4. SIG. HEIÐDAL, Siiklur. R. 1917. Eine Reihe kleiner Erzáhlungen veröffentlicht der offenbar noch junge Lehrer S. H., etwas einseitig in ihrem Stoff, lauter Liebesgeschichten. Eine gewisse Unausgeglichen- heit liegt tiber dem Ganzen; bei einer Erzáhlung schwankt man, ob sie ernst gemeint ist oder eine Satire sein soll. Da erzáhlt er námlich aus den zuktinftigen Zeiten, in denen man einen Geisterverbindungsapparat und einen Gedankenverhtillungsapparat hat und wie dieMenschen sich die Geister zu allem (auch Verbrechen) nutzbar machen können. Die anderen Erzáhlungen leiden unter der Neigung, nichts ungesagt zu lassen, immer methodisch vorzugehen und nichts zu vergcssen. Dadurch wird auch der Humor, der in der Erzáhlung: „Der Komet" steckt, etwas beeintráchtigt, in der ein Kaufmann in der Angst vor dem nahen Weltuntergang ausprobieren will, ob man bei einer Tem- peratur von ioo° noch leben kann und in der gleichen Voraussetzung den Schuldnern die Schulden erláBt, dann erklárt er diesen ErlaB als Freudenspende ftir die Verlobung seiner Tochter. Mit freudiger Teilnahme liest man die Geschichte von dem práchtigen Htindchen Offi (= 'Ofeigur, „der noch nicht sterben sollte", weil er aus dem Sack, in dem er ertránkt werden sollte, sich gerettet hat), dessen Entwicklung in seinen Wahr- nehmungen und Empfindungen sich vor unsercn Augen vollzieht. — Mehr sittlichen Ernst als dichterische Kraft zeigen die Skizzen „Die Raubtiere" und „Der KuB", wáh- rend der „Heidedichter" mir psychologisch verfehlt scheint; wo ein zum Dichter ge- borener Junge ein gerissener Kaufmann wird, dcr nur auf Geld aus ist. — Am feinsten und tiefsten ist die letzte Erzáhlung von einem jungen Ehepaar, das „das Reinigungs- feuer der ersten Jahre" schlecht besteht, sich zurTrennung cntschlieBt; da nehmen sie einen gesunderen Verkehrston untereinander an und finden sich dann in ehrlichem Vcrstándnis. Hier ist alles lebendig und keinWort zu viel. Offenbar ist diese Erzáhlung zuletzt geschrieben. Die weiteren Arbeiten desselben Verf. sind mir noch nicht zu- gánglich geworden. 5. DULD, Róain horfna (Die verschwundcnc Rose), eine Liebesgeschichte. R. 1919. Der Titel erweckt keine besonderen Erwartungen, man denkt an cinen tiberwundenen Standpunkt der Erzáhlungsliteratur; offenbar ist diese Annahme durch den Titel ge- wtinsclit. Der Stoff ist auch tatsáchlich etwas romantisch. Zwei gleichaltrige, mit- einander aufgewachsene, vermögenslose junge Leute halten unter den schwierigsten Umstánden stets einander die Treue, setzen schlieBlich alle ihre Wtinsche durch (er 21

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