Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1923, Qupperneq 6

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1923, Qupperneq 6
zelnen und spornt ihn zur Tat an, und die Windstille macht das Gemiit sanft und gottergeben; der máchtige Wasserfall Gullfoss láhmt dagegen die schwache Stimme des Dichters und macht sein Gemiit untertánig, denn Kraft und Schönheit, Zorn und Friede in dir vereint sind, zauberstark Getose wie es in einem Gedicht von Hannes Hafstein heiBt. Der sprudelnde Geysir wird zum Symbol der zukiinftigen Volksseele, die mit elementarer Kraft alle Banden sich abreiBt. Die Naturvorgánge sind also in diesem Falle primár, der einzelne richtet sich nach ihnen, wird zum Kleinbilde der Natur. Anderer Art sind diejenigen Gedichte, in denen die Gefiihle des Dichters, Freude und Kumrner, zum Ausdruck kommen, und er dann nach einem Bilde aus der Natur sucht, um seinen Gemiitszustand zu veranschaulichen, wie z. B. wenn Schiller sagt: Und so fliehen meine Tage wie die Quelle rastlos liin. Der Dichter lernt auf diese Weise seinen eigenen Seelenzustand ver- stehen, wie er die Naturvorgánge durch seelische Vorgánge verstelit. Man wiirde demnach fragen können, ob das innerste Wesen der Uyrik und iiber- haupt jeder Dichtung sei, die Wechselbeziehungen zwischen Vorgángen in der Natur und Ercignissen im persönlichen L,eben feststellen zu können. Die Realisten wúrden diese Frage bejahen, indem sie behaupten, daB der Mensch nur das Produkt vom Geerbten und vom Milieu sei, wáhrend die Modernen den Menschen als Herrscher der Natur betrachten, weshalb ihre Aufgabe sei, ihre Gefiihle, ihr inneres Deben, ihr inneres Sehen, Iiören usw. zum Ausdruck zu bringen, wofiir der Name Expressionismus geprágt worden ist. Diese Kunstrichtung wird auch hier erwáhnt, weil sie in der islándischen Dichtung nicht unbekannt ist. Die Eddalieder priesen die Götter und Helden, die Skaldengedichte Könige und vornehme Deute, im Mittelalter sind religiöse Gedichte und Degenden vorherrschend, im ig. Jahr- hundert pries man die Natur, die Freiheit und die alte goldene Zeit. In diesem Zeitalter haben die Schilderungen des seelischen Debens iiberliandgenommen. Der Spiritismus, der auf Island beliebt ist, und die Theosophie stehen viel- leicht in Verbindung mit dem Verjiingungsdrange der einzelnen, iiber die Grenzen des Wahrnehmbaren hinauszukommen und dem Drange, den úber- reizten Nerven ein Fest zu bereiten, wie es bei den Modernen im Auslande heiBt. So wird man in den letzten islándischen lyrischen Sammlungen lauter Gefúhlsauslassungen gewahr. Die jungen Studenten, die trotz des Alkoholverbotes ihren empfindlichen Nerven ein Weinfest zu bereiten 38

x

Mitteilungen der Islandfreunde

Direct Links

Hvis du vil linke til denne avis/magasin, skal du bruge disse links:

Link til denne avis/magasin: Mitteilungen der Islandfreunde
https://timarit.is/publication/323

Link til dette eksemplar:

Link til denne side:

Link til denne artikel:

Venligst ikke link direkte til billeder eller PDfs på Timarit.is, da sådanne webadresser kan ændres uden advarsel. Brug venligst de angivne webadresser for at linke til sitet.