Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1923, Qupperneq 15
Bileygr aber soll angeblich bedeuten ,,der mit dem ausweichenden Auge“,
wenn nicht der erste Teil des Namens gar zu gr. <píloq gehört; dann wiirde
Bileygr ,,der rhit dem freundlichen Auge“ sein. Zu dieser Deutung wiirde
das gegensátzliche Paar Bilvisus-Bolvisus bei Saxo 234 stimmen, von denen
Bilvisus freundlichen Rat gibt, Bolvisus schlechten. Bolvisus ist deutlich
das an. bolvi (Blindr enn bolvísí, Helgakv. Hb. II; Bugge, Helgedigtene
S. 288). Da es aber neben Bileygr den offenbar zu ihm gegensátzlichen
Namen Báleygr „der Flammenáugige" gibt, ist auch die Deutung „der
mit dem abnehmenden Auge“ fúrBileygr sinnvoll: Durch das Namenspaar
Bileygr-Báleygr, das ‘Oðinn nach Grímnismál 47 trágt, ist er, wenn man
fiir Bileygr die zuletzt gegebene Deutung annimmt, in zwei Eigenschaften,
als der Eináugige und als der mit dem leuchtenden Auge, charakterisiert.
II
Kap. 11 der Gylfaginning berichtet, daB die Sonne verfolgt wird vom
Wolfe Skoll („der Palsche“), der Mond vom Wolfe Hati („der Hasser").
Von einer Riesin stammen diese Wölfe ab. Der wildeste aus dem Wolfs-
geschlechte ist aber der Wolf Mánagarmr („Mondwolf"). „Er náhrt sich
vom Pleische der Toten und er verschlingt ,das Gestirn' (hanu gleypir
tungl, woruber spáter mehr). Da verliert die Sonne ihren Schein usw.“
Snorri hat möglicherweise — aus dem Texte ist das mit Sicherheit nicht zu
erschlieBen — die Sonnenfinsternis als Folge des Wútens Mánagarms und
diesen mithin als Sonnenwolf betrachtet. Das ist dann aber ein MiBver-
stándnis, das als solches klar erwiesen wird durch den unzweideutigen
Inhalt des Namens Mánagarmr, der „Mondwolf" bedeutet. Und es kann
auch nur einen Mondwolf gegeben haben; Hati ist junges Erzeugnis. In
Kap. 50 der Gylfaginning ist ausdrúcklich nur von einem Wolfe, der die
Sonne, und einem, der den Mond verschlingt, die Rede.
In den hierher gehörigen Strophen der Voluspá (40 f.) heiBt Mánagarmr
„Ráuber des tungl". Dieses tungl haben manche Erklárer als Sonne ge-
deutet. Das Wort, das auch in der allgemeinen Bedeutung „Gestirn" vor-
kommt, bezeichnet aber den Mond. Gylfag. 50 scheidet deutlich zwischen
sól und tungl, Sonne und Mond, Skáldskaparmál 21 zwischen sól, tungl und
liimintungl, Sonne, Mond und Sterne, und Skáldskaparmál 53 ist unter
den Mondbezeichnungen tungl angefúhrt.
Man wird also nicht umhin köunen, den Mond von Mánagamr verscliluckt
werden zu lassen. Die Sonnenfinsternis hat mit ihm unmittelbar nichts
zu tun; sie gehört freilich mit zu dem Bilde vom Weltuntergange, wie
man es sich zu einer Zeit machte, als der Mond nicht mehr Alleinherrscher
im mythenbildenden Denken der Germanen war. Die Auffassung, daB
47