Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1923, Síða 16
der Mondwolf wichtiger sei als der Sonnenwolf, ist durchaus nicht so „selt-
sam“, wie Detter-Heinzel gemeint haben, sie ist im Gegenteile diejenige,
die zu erwarten ist. Grimnismál 39 erzáhlt, daB Skoll und Hati die Sonne
verfolgen, der Mond wird nicht erwáhnt. Hier liegt offenbar jiingere Vor-
stellung vor, die auf die Sonne allein bezogen hat, was friiher auch vom
Monde galt (und, können wir hinzufiigen, einmal nur vomMonde gegolten hat).
Auch daB Mánagarmr sich von Toten ernáhrt, spricht fiir seine Rolle
als Mondwolf. Der Mond wird ja bis nach Indien hiniiber als Wohnort
der Abgeschiedenen angesehen, und als Menschenfresser finden wir ihn noch
in neugriechischem Volksglaubefi (Roscher, Selene und Verwandtes, S. 173).
Es ist eine im Mythos der indogermanischen Völker und dariiber hinaus
oft belegte Vorstellung, daB die leuchtende Mondscheibe von einem dunklen
Dámon vernichtet wird. Als solcher wird dann regelmáBig der dunkle Teil
der abnehmenden Scheibe betrachtet (wobei mit dieser bildhaften Ausdeu-
tung der Mondphasen stets auch die Vorstellung vom Kampfe zwischen
einer guten (hellen) und bösen (dunklen) Macht verbunden ist). Mánagarmr
wird also urspriinglich der Schwarzmond gewesen sein.
Der heutige skandinavische Volksglaube kennt keinen Mondwolf mehr,
nur den Sonnenwolf. G. Neckel hat in dieser Zeitschrift (IX, S. 40) darauf
hingewiesen, daB der Mánagarmr beglaubigt wird auch durch den antiken
Volksglauben bei Tacitus, Annalen I, 28; diese Stelle wird erklárt durch
eine andere in einer Homilie des Hrabanus Maurus, wo die Rede ist von
Rármschlagen bei Mondesfinsternissen, mit dem das den Mond bedrohende
Ungeheuer zu verscheuchen sei. Diese Vorstellung ist uns auf deutschem
Boden noch mehrmals bezeugt. Karl der GroBe verbot als Aberglaube
die Meinung, bei Mondesfinsternissen sei der Mond in Gefahr, vom Mond-
wurme verschlungen zu werden, und man miisse ihm zu Hilfe kommen
durch das Geschrei: vince, luna. Am Ende des ersten J ahrtausends eifert
Burchart von Worms gegen die, welche dem Monde mit Geschrei zu Hilfe
kommen wollten, und diesen Aberglauben verspottet noch im 16. Jahr-
hundert Johannes Fischart. Auf der rechten Seite des Einganges der St.
Jakobskirche in Regensburg ist unter anderen in erhabener Arbeit aus-
gefiihrten Gestalten ein Ungeheuer dargestellt, wolfsáhnlich, doch mit
Drachenschwanz, das eine Kugel im Rachen hált. Auch diese Darstellung
geht möglicherweise auf den Mondwolf, der dann auf siidgermanischem Bo-
den auch durch ein Werk der Bildhauerkunst bezeugt wáre1.
Wien Leonhard Franz
1 Úber diese Darstellung vgl. Erich jung, Germanische Götter und Helden in christlicher
Zeit, Miinchen 1922, S. 48 f. Dieses invielem vorziigliche Buch bringt auch sonst noch
aus Werken deutscher Bildhauer desMittelaltersBelege fiir das Vorhandensein von Götter-
gestalten, die man sonst nur aus nordischer Oberlicferung kennt, auf deutschem Boden.
48