Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1927, Blaðsíða 5
hinaus in die Unendlichkeit und sah neue und neue Sterne sich zu der Menge
gesellen. Sie fielen in den Gesang ein, und sie verstanden alles, so daB ihre
Stimmen nicht zu einem schneidenden Schrei wurden, der alles zerstörte."
schweigt und blickt traumend hinaus in die Ferne. Etwas Strahlendes
lst im Ausdruck und in den Augen des Mannes, der da geláhmt und hilflos
steht. I)as ist seine Gottesnatur, die voriibergehend die Fesseln gesprengt
'lat, als er sich der schönsten Tráume seiner Jugend erinnert. Thóra wird
v°n der Begeisterung angesteckt, und die trágt sie hinein in seine Gedanken-
gange. „Und unsere Erde, so klein und gering unter Millionen, sie ist viel-
leicht so spát gekommen, daB sie nicht mit einstimmen konnte. Sie ver-
stand die Zeichen des Sangeslenkers nicht und ihre Stimme wurde zu einem
schneidenden Notruf. Und das, was uns Menschen Schmerz und Qual zu
sein scheint, sind vielleicht ihre Versuche, den schönsten Ton hervorzubringen,
den sie hat, und einzustimmen in den Zusammenklang der Siegesgesánge der
Ewigkeiten."---------
Die áuBere und innere Handlung zwischen Grímur und Thóra, die Haupt-
handlung des Romans, ist wunderbar anschaulich und dramatisch dargestellt.
Die Behandlung der groBen Welt- und Menschheitsprobleme, der Qual und
der Riebe, ist derartig einfach, wahr und menschliclr und dabei hochpoetisch,
daB sie so nur ein wahrhafter Mensch, eine rein weibliche Frau und eine groBe
Dichterin lösen konnte. Gerade in der Gegeniiberstellung des Mannes, der
in alle Tiefen des Eebens geschaut hat und Gottesleugner geworden ist, und
der unbewuBten, reinen, religiösen Frauenseele liegt ein groBer Reiz. Imrner
ist es die Seele, die die Handlungen der Menschen auslöst. Man lebt mit
den Gestalten, man empfindet und handelt mit ihnen. Atemlos vor Ent-
setzen lauscht der Ueser mit Thóra, als sie von ihrern Bett aus durch die
Ritzen der Holzwand sieht, wie Grímur die Phiole nimmt, um sich durch
Morphium fiir immer von seinen Qualen zu befreien. Man hört am náclisten
Tage Grímurs Geige rasen und stöhnen, klingen und klagen, jubeln und
jauchzen. Man spiirt den Bann auch, der iiber den Kindern liegt, die sich
angsterfiillt an Thóra klammern und versteinert sind vor Grauen iiber die
wilden Weisen, dann aber in der náchsten Minute das reizende Kinderlied
mitsingen, vollstándig gefangen genommen und bezwungen von der lieb-
lichen, zarten Melodie. Man fiihlt Thóras Herzschlag und erlebt ihre Ge-
danken, als Grímurs Eeben in den Geigenklángen an ihr voriiberzieht und
sie sich fiir wahnsinnig hált, weil sie alles fiihlt und hört, was ihr die Klánge
beichten sollen und wie sie ihr danken sollen. Die Seelenstimmungen der
Menschen sind solch zartes, heiliges Gebiet fiir die Verfasserin, daB die Höhe-
punkte nur symbolisch dargestellt werden. Auch die Liebeserkenntnis Thóras
und Grímurs: „Beide wie Kinder, die an einern Wasserfall stehen und die
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