Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1927, Blaðsíða 6
Regenbogenfarben zittern sehen in dem scháumenden Spriihen. Sie scheinen
ihnen ein vielfarbiger Schmuck, wie schimmemde Perlen. Und sie sehnen
sich danach, sich hineinzustiirzen in den Fall, und sich von dieser strahlen-
den Pracht umschlieBen zu lassen und Hánde voller unvergleichlicher Reich-
tumer an das Rand zu tragen. Und doch wissen sie, daB der Fall sie mit sich
niederreiBen wird in die bodenlose Tiefe und sie auf scharfkantige Scháren
tragen wird, an denen ihre Hánde zerreiBen. Und wenn die Wogen sie auf
irgendeine Sandbank spúlen oder sie an irgendein Ufer tragen, da wird ihnen
das Wiederfinden zur Qual. ,Das háttest Du wissen mússen', sagen sie beide
anklagend, und sie versuchen mit den letzten Kráften voreinander zurúck
zu weichen und sich zu verbergen, damit niemand sieht, wie unsinnig sie
waren. Und doch stehen sie am Fall und blicken in das scháumende Sprúhen,
das die Sonnenstrahlen in mannigfacher Farbenpracht bricht, und die beiden
sagen zueinander: „Es sind schimmernde Perlen.“
Oder: „Weihnachtsnacht. — Heilige Nacht. Wer hat Worte, dich zu be-
schreiben ? Generation auf Generation hat ihren Anteil an Entzúcken, an
Begeisterung und an Herzenswúnschen beigetragen, dich zu der schönsten
aller Náchte zu gestalten. Die Kindheit hat dir ihre unbekúmmerte Weih-
nachtsfreude gegeben, ob sie ihr aus práchtigen Gaben oder aus armseligen
Kerzenenden entgegenleuchtete. Die Jugend hat dir ihre schönsten Tráume
zugeflústert; du hast ihr Sehnen veredelt, du hast ihre Uiebe geheiliget und
gereinigt. Die reifen Jahre haben dir vertraut in Hoffnung und Freude,
in Versuchungen und Streit, in Kummer und Sorgen. Und das Alter hat sich
gewármt an dem Herdfeuer deiner Abenddámmerung.
In dieser Weihnachtsnacht saB ich bei meinem Uiebsten, und in der an-
deren lachte mein kleines Kind in seiner Wiege. An dem einen Weihnachten
war Sorge und Krankheit im Haus und an dem anderen Weihnachten un-
heilbares Ueid auf dem Kirchhof. An einem Weihnachten war ich jugend-
frisch, kráftig und hoffnungsfroh, an dem anderen Weihnachten war ich
traurig, unfáhig durchUnglúck und geschlagen. So denkt das Alter, und das
Uicht von dem Stern im Osten gibt ihm den Mut, zurúckzuschauen und alles
das zu segnen.
Und die Nacht hat atemlos gelauscht und dann hat sie Uachen und Selig-
keit, Seufzer und Tránen hinaufgetragen an den Thron des allmáchtigen
Gottes.
,Ich komme mit deinen Gaben, o Herr, von den Kindern der Mensch-
heit,' sagt die Nacht und neigt sich von seinem Schemel nieder, demútig
und ernst.
Und der Gott aller blickt auf die Gaben und láchelt wie eine junge Mutter,
die zum ersten Male ihr zartes Kind nach sich rufen hört.
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