Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1927, Blaðsíða 17
Jochumsson schrieb. Damit hat er auch seinen Ruf begriindet. Geboren 1847 bei
Reykjavík wurde sein Talent durch den norwegischen Iíomponisten Johan Svendsen,
der damals Island bereiste, entdeckt. Dieser veranlaBte, daB der junge Islánder (der in
Island nur ein musikalisches Kulturstadium kennengelernt hatte, das, wie so vieles
andere, etwa um 600 Jahre gegenuber den ersten Kulturvölkern Europas zuriick war)
nunmehr ins Ausland zum Studium geschickt wurde. Er studierte erst in Kopenhagen
und spáter einige Wochen in Leipzig, u. a. bei Reinecke. Seit damals datiert der Gade-
Mendelssohn-EinfluB in seiner Tondichtung. Aber er genoB denn auch keine ausreichende
Ausbildung und muBte fruh anfangen, den Klavierunterricht als Lebenserwerb zu er-
greifen. Er lieB sich in Edinburgh (Schottland) nieder und lebte fast 60 Jahre auBerhalb
Islands. Seine Kompositionen bekamen dann eine etwas anglophile Fárbung. Mit der
islándischen Volksmusik stand er in keinem rechten Verháltnis. Als der islándische Staat
ihm in den letzten Jahren einen Ehrengehalt verlieh, lebte er mehr der Komposition
und er soll denn auch einige Instrumentalwerke hinterlassen haben. Sonst schrieb er
meist Lieder fur eine Singstimme mit Begleitung oder fur a capella Chor. Eine endgultige
Stellung zu seinem Schaffen láBt sich kaum nehmen, solange die letzten Werke nicht
zugánglich sind. Das Schicksal dieses Mannes ist geformt durch die Not seines Landes.
Es ist genau so ergreifend wie sein Tod, der ihn plötzlich hinwegraffte, als er musizierend
am Klavier saB. Er soll mit fast naivem Gemut ganz seiner Kunst gelebt haben. Er
hat als Wegbereiter manche Leiden tragen mussen, die seinen jungeren Kollegen und
Landsleuten erspart werden. Wir werden sein Andenken stets in Ehren halten!
Baden-Baden Jón Leifs
VI. BJARNI JÓNSSON FRÁ VOGI f
Island hat wálirend des ganzen Verlaufes seiner Geschichte Mánner gehabt, die sich
erheblich iiber den Durchschnitt erhoben und als wirkliche Fuhrer des Volkes hervor-
traten. Auch in unserer Zeit verfugt es uber solche Fuhrerpersönlichkeiten. Wir finden
sie auf den verschiedensten Gebieten. Einer von ihnen und vielleicht der, der mit am
meisten dazu beigetragen hat, daB Island seine fruhere Selbstándigkeit wiedergewonnen
hat, war Bjarni Jónsson frá Vogi.
J ón Sigurðssons záher und hartnáckiger Kampf legte den Grund, andere vollfúhrten
die weitere Arbeit und zum SchluB trat Bjarni J ónsson hervor und krönte das Werk. —
Einem angesehenen Geschlecht entstammend, wurde er 1863 geboren. Den letzten Teil
seines Namens trug er nach dem Hofe Vogur in der Dalasýsla, deren Wahlkreis er auch
eine lange Reihe von Jahren im Althing vertrat. Er ging den Weg des Akademikers,
liolte sich den Magistergrad an der Universitát in Kopenhagen und kehrte alsdann nach
Island zurúck. Hier wurde er zunáchst Lehrer an der Lateinschule in Reykjavík. Je-
doch fesselte die Politik mehr und mehr sein Interesse. Besonders bescháftigte er sich
mit dem Verháltnis zu Dánemark. GewiB hatte Island bereits einen liohen Grad von
Selbstandigkeit erreicht, aber es war doch tatsáchlich nichts anderes als ein dánisches
Nebenland.
Im Jalire 1908 kam er nach Schweden und wirkte hier in Wort und Schrift warm fúr
Islands uraltes Recht. Kurz danach wurde er von der islándischen Regierung — die
gerade damals nach dem Rúcktritte des der gemáBigten Selbstverwaltungspartei ange-
hörenden Ministers Hannes Hafstein und dem Amtsantritt des von der radikalen Selb-
stándigkeitspartei gestellten Ministers Björn Jónsson gegenuber der dánischen Regierung
eine ziemlich aggressive Haltung einnahm (Anmerkung des Dbersetzers) — zum Kon-
sulenten fúr auswártige Angelegenheiten fúr die skandinavischen Lánder und Deutsch-
land ernannt und erhielt nun ein weiteres Wirkungsfeld. Indessen wurde er bald wieder
nach Hause gerufen.
In Scliweden war der Boden bereits vorbereitet von einem schwedischen Islandfreund
und sowohl bei diesem als auch bei einem norwegischen Rechtsgelehrten fand Bjarni
13