Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1927, Side 3
und Erwartung in die Hand nehmen. Herr Erkes schrieb mir folgendes: „In-
haltlich und stilistisch ist es einer der bestgeschriebenen neuislandischen Ro-
mane; er wurde auf Island sehr, und ich glaube mit vollem Recht gelobt. Die
Verfasserin ist eine einfache Bauersfrau; sie lebt auf dem kleinen Hof Kál-
fagerði im Tale des Eyjarfjörður, an der Berghalde des rechten FluBufers.
Dort verrichtet sie tagsiiber alle Arbeit einer einfachen Bauersfrau; in den
Náchten schreibt sie. Die Umwelt des Romans ist dem wirklichen islándischen
Bauernleben entnommen. Diese Frau hat nie eine Schule besucht, sondern
Sprache, Stil und Gedankenreichtum nur ihrer eigenen unermúdlichen Bil-
dungstátigkeit auf ihrem Hofe zu verdanken.“----------
Das Problem des Buches ist: Ein álteres, kluges Mádchen, ganz und gar
Frau in ihren Empfindungen, kommt auf dem Hofe ihres Bruders in háus-
liche Gemeinschaft mit einem schwer tuberkelkranken, unheilbaren Mann, den
ihre lautere Weiblichkeit anzieht, der sie seelisch versteht und sie sinnlich be-
gehrt. Auch sieliebtihn. Wie sollen die beiden nun zueinander finden ?--
Das Problem ist in einer fur meine Begriffe einzigartigen Weise gelöst worden.
Mit einer Zartheit der Empfindung, mit einer Wahrhaftigkeit, Einfachheit
und gánzlichen Unkompliziertheit, wie man sie in unserer heutigen Uiteratur
wohl vergeblich suchen dúrfte. Das Problem konnte wohl úberhaupt nur in
Island schriftstellerisch verwendet werden, weil es in anderen europáischen
Uándern derartige Uebensbedingungen und soziale Verháltnisse nicht gibt.
Die Geslallen des Buches sind psychologisch ungemein fein gezeichnet. J ón,
der Hausherr auf Hof ,,Halde“ ist sehr ruhig, ein Hauptcharakterzug bei
ihm und seiner Schwester Thóra. Trotz der Willenlosigkeit seiner Frau Mar-
grjet gegenúber, weiB er doch seine menschlich schönen Bestrebungen durch-
zusetzen. Er ist es, der gegen den Willen der Hausfrau den kranken, allein-
stehenden Grímur auf seinem Hof als Wintergast aufnimmt. Thóra, dieHaupt-
person des Romans, ist eine wundervoll gezeichnete Frauengestalt. Schon als
Kind erscheint ihr die ganze Natur beseelt: der Wind, die kleinen grúnen
Gráser, die Vögel und Insekten, alle sprechen sie miteinander. Aber alles
úbertönt das Bachesgemurmel: die Stimme Gottes. Auch Grímur hat als
Knabe áhnliche Vorstellungen gehabt. Das Surren des Rockens, das rokk-
hljóð, Rockenlied, verriet ihm die Stimmung der Mutter: dann sang es
,,Friede, Friede", dann „Kummer, Kummer", oder „Böses, Böses". Doch die
schönste seiner Visionen ist die Sphárenharmonie, die sich ihm, dem halb-
wúchsigen Knaben, offenbarte, und die ich weiter unten in Ubertragung wie-
dergebe. J ón, dem ruhigen, ernstenBauern auf der Halde, sprechen die hohen
Berge seiner Heimat Trost zu, wenn Frau Margrjet etwas sagt, „das besser un-
gesagt bliebe". Immer wieder sieht man beim Uesen des Romans, wie die
ernsten, nachdenklichen, einsamen islándischen Bauern sich die Welt mit
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