Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1927, Síða 4
ihren groBen und kleinen Problemen zu erkláren versuchen. Es liegt ein
groBer Zauber in dem einfachen, unkomplizierten Denken und Streben dieser
Menschen, die sich ihres Wertes aber vollauf bewuBt sind.---Margrjet und
Lilla dienen Thóra als Eolie. Margrjet insofern, als Thóra die herrschsiich-
tige, mánnliche und willensstarke Gattin ihres Bruders bei weitem iiberragt
durch seelenvolle Herzensgiite, durch zwingende Menschlichkeit. Ihre feine,
opferfreudige Frauennatur sucht nach einer Pflicht, die sie ganz ausfiillt, die
ihrem Deben den Wert verleiht, den das Leben einer Frau haben muB. Diese
Pflicht findet sie in der entsagungsvoll liebenden Pflege Grímurs. Dilla ist ein
Flederwisch, der mit einer Thóra nicht verglichen werden kann; sie und J ónki,
der Knecht, sind die Gegenspieler zu Grímur und Thóra. Die beiden Kinder
des Ehepaares sind Nebenfiguren, ebenso die wenigen anderen, teilweise nicht
mit Namen genannten Personen.
Grímur ist im Gegensatz zu der ruhigen, besonnenen Thóra, die nie iiber
Hof Halde hinausgekommen ist, der unstete, unbeherrschte, nirgends rastende
ruhelose Seefahrer. Der Vater Trinker, die Mutter schwindsiichtig, der Sohn
hart vom Leben und grausam von der todbringenden Krankheit mitgenom-
men. Abweisend, hart, kalt und bitter ist er und ein Gottesleugner, Thóra
dagegen ist tiefreligiös. Aber in ihmist starkes Empfinden fiir alles Gute und
Schöne. Er liebt Island, seine Heimat, iiber alles. Er zwingt mit seinem
wundervollen Geigenspiel alle in seinen Bann. Aber Thóra ist es, deren reine,
giitige Weiblichkeit ihn zu dem Guten und Schönen und zu Gott zuriick-
fiihrt: „Er steht eine Weile schweigend und lehnt sich auf seine Kriicke. Dann
beginnt er mit leiser, versonnener Stimme zu erzáhlen: „Als ich Knabe war
und konfirmiert werden sollte, war ich einmal bei einem Gesangsvortrag im
Dorf, wo ich wohnte. In den Jahren hing mein ganzes Herz an der Musik,
und alles, was mich fesselte, redete in Tönen. Dort waren viele, die sangen,
Mánner und Frauen, vor ihnen stand der Gesangslehrer, der alles leitete und
aller Augen hingen an ihm. Mit sicheren Bewegungen maB er den Takt der
Melodie und jeder einzelne, der sang, muBte jedes Zeichen, das er gab, ver-
stehen, damit die Stimmen natiirlich zusammenklangen und keine unmelo-
dischen Töne die Schönheit des Eindrucks störten. Niemals vergesse ich
diesen Abend und den náchsten auch nicht. — Es war mitten im Winter, Frost
iiberall, wie jetzt, und ein heiterer, sternenklarer Abend. Sobald es anfing zu
dunkeln, stahl ich mich allein hinauf auf den Abhang oberhalb des Hofes, und
dort erlebte ich alles im Herzen wieder, was am Abend vorgetragen war. —
Aber die Sterne waren der Sángerchor und Gott selbst fiihrte die unendliche
Menge. Er wohnte irgendwo im tiefdunkeln Himmelsraum auf einer groBen
Sonne, die war tausendmal strahlender als alles iibrige. Alle Sterne muBten
einem jeden seiner Zeichen folgen, so daB die Harmonie anhielt. Ich starrte
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