Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1927, Síða 12
der Sckneedom des Hvannadalshnúkur1, den ich zwei Tage nach unserer
tJberschreitung der Skeiðará bestieg2. In hohem Grade habe ich es be-
dauert, daB ich durch das Hochwasser der Skeiðará verhindert war, noch an-
dere photographische Aufnahmen zu machen. Im Sander, etwa x/2 Stunde
weiter nach Siiden vordringend, hátte ich sonst bei dem Prachtwetter mit
Iyeichtigkeit die höchste Spitze Islands auf die Platte gebannt.
2. Die ehemalige Siidkúsie Islands, in 1400 m Höhe beim Absiieg vom Hvanna-
dalshnúkur aufgenommen
Wáhrend die West-, Nord- und Ostkiiste Islands eine in hohem Grade
gliederreiche, steile.Buchten- undFjordkiiste darstellt, ist die Sudkuste
ungegliedert und flach wie das an sie grenzende Meer. Zwar liegen hier die
von den Fischern so geschátzten reichen Fischgrúnde, aber ebenso gefúrchtet
ist dieseKúste wegenihrer'FlachheitvonderSchiffahrt, da in jedem Jahre hier
eine Anzahl von Schiffen im Sturm und Nebel zugrunde geht. Záhlten wir
doch an einem Tage an dieser Súdkúste nicht weniger als ein Dutzend Wracks
von Fischdampfern, und waren doch einzelne Bauern in der Lage, die Wánde
ihrer Zimmer nur aus Mahagonitúren aufzubauen, die sie aus den Kajúten der
gescheiterten Schiffe „gerettet" hatten.
Aber diese Súdkúste Islands war nicht immer so wie heute, sondem vor
langer Zeit genau wie die úbrigen islándischen Kústen eine Buchten- und
Fjordkúste. So befand sich zwischen der Halbinsel Reykjanes und dem
Eyjafjallajökull, da wo sich heute das gröBte und beste Tiefland der Insel
ausbreitet, eine groBe Meeresbucht. Erst im Eaufe der Jahrtausende ist sie
durch die vereinigte Wirkung der Flússe zugeschúttet worden. Mit ihren Sink-
und Schottermassen haben die drei wasserreichen Ströme, die Hvítá, die
Þjorsá und die Þverá, das 4000 qkm groBe Dreistromland, ein islándisches
Mesopotamien geschaffen. Und daB die Súdkúste weiter im Osten frúher
eine echte Fjordkúste gewesen ist, das zeigt in úberraschender und úber-
zeugender Weise unser Bild.
Am 21. Jtrni morgens 3 Uhr beim Abstieg von Hvannadalshnúkur auf-
genommen, lag der ganze, zum Teil 20 km breite Skeiðarársandur von
dichtem Nebel bedeckt, unter uns. Verschleierte er damit die heutige unge-
gliederte Súdkúste, so modellierten seine weiBen Sckwaden wie ein geo-
logischer Bildhauer alle Glieder und Fjorde der ehemaligen Steilkúste aus
und zauberten ein Eandschaftsbild vor unsere erstaunten und entzúckten
1 Hvönn, plural hvannir ist der islandische Name íur Bergengelwurz (Archangelica offi-
cinalis), eine Doldenpflanze, die in bis zu 1% m hohen Stauden in diesem zur höchsten
Spitze Islands ziehenden Tale (dalur) vorkommt. Hnúkur heiBt Spitze, demnach be-
deutet Hvannadalshnúkur Bergengelwurztalspitze. J Ebeling, Islandische Bergfahrten.
Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1926. S. 95.
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