Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1916, Blaðsíða 7
hatte, kaum jemals vergessen konnte." (Livserindringer 1814—1857, S.
46—47).
Nach kurzer Zeit schon hatte Christiane den nötigen Schliff erhalten,
um in das Haus Thorlacius eintreten zu können. Es war dies ein vor-
nehmes Professoren-Heim mit feinen Möbeln und allerlei Komfort; man
hielt sogar nach gutem alten Professoren-Brauch aus Holbergs Zeit Pferd
und Wagen. Der damals 48 Jahre alte Hausherr, Etatsrat Börge Risbrigh
Thorlacius, Ritter des Dannebrog, Sohn des auf dem Hofe Teigur auf Island
geborenen Professors und Rektors an der Metropolitanschule zu Kopen-
hagen Skúli Thorlacius (f 1815) und selbst noch auf Island begútert, war
in seiner Stellung hochangesehen, dabei aber ein so gelungenes Original eines
Gelehrten, daB man sich ihn ein wenig naher besehen muB. Als Professor
der lateinischen Sprache an der Universitat bestallt, hielt er eine Zeitlang
auch theologische Vorlesungen und bescháftigte sich mit altnordischer
Literatur. Obwohl er kein bedeutendes wissenschaftliches Werk, sondern
nur Programm-Abhandlungen geliefert hatte, mehr Sammler, Bearbeiter
und Mitteiler und auch weder besonders scharfsinnig oder genial war, stand
er wegen seiner Gelehrsamkeit doch in groBem Rufe. Er war ein zier-
liches Mánnchen, sehr korrekt und auch streng, weil er selbst sehr streng
erzogen worden war. Erzáhlte er doch selbst z. B. seinen Studenten mit
Vorliebe, daB er noch als Lateinlehrer mit 25 Jahren an der Metropolitan-
schule von seinem Vater, dem Rektor, vor allen Schulern eine Ohrfeige er-
halten habe, weil er sich die stráfliche Bequemlichkeit zu schulden kommen
lieB, den Schulern eine Aufgabe zu diktieren, die er einst selbst auszuarbeiten
hqtte! Er war auch schon frtihzeitig ein recht zerstreuter Herr. An seinem
Hochzeitstag arbeitete er in der elterlichen Wohnung gerade an einer ge-
lehrten Abhandlung und war in diese so vertieft, daB er vom Schreibtisch
weg zur Trauung geholt werden muBte, und nach dieser vergaB er wieder,
daB er nun verheiratet sei, und eilte vom Hochzeitsmahle weg in die elter-
liche Wohnung zurúck und schrieb an seiner Abhandlung weiter, bis er
spát in der Nacht von einem Bruder seiner Frau aufgesucht und in die eigene
Wohnung des jungen Ehepaares gefúhrt wurde1. Die Ehe war aber doch
ganz glúcklich, wie man wohl auch daraus ersehen kann, daB der Professor
jedes Jahr am Gedenktage seiner Verlobung seiner Frau neuerdings einen
goldenen Verlobungsring verehrte, so daB diese bis zu ihrem Lebensende
nicht weniger als 27 solcher Ringe erhielt. Die Frau Etatsrat, eine geborene
Kall, war im Gegensatz zu ihrem Herrn Gemahl eine stattliche Erschei-
1 Vgl. Benedicte Arnesen-Kall, Livserindringer, S. 52—58, wo auch dio köstliche Ge-
schichte erzáhlt wird, wie Thorlacius um seine Frau geworben hat oder vielmehr den
Vater íiir ihn werben lieC.
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