Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1917, Blaðsíða 2
(6o—66); sie fiihren stufenweise hinauf zu dem Bekenntnis: melir als Gesund-
heit, Besitz, Leben und Nachkommenschaft ist der Ruhm; er ist das höchste Gut.
Hier zeigt sich recht die Diesseitigkeit dieser Lebenskunst! Es ist ein
Heidentum ohne Götter und Gespenster, sogar ohne den Schicksalsglauben,
der in vielen Sagas als Grundstimmung erscheint. Der Mensch wird auf sich
selbst gestellt und kiihl gewertet zu allermeist nach seiner Klugheit und
Lebenserfahrung. Der unmittelbare Egoismus versteht sich noch von selbst;
Freunde sind ein hohes Gut, aber auch die Aufopferung fiir Freunde, wie sie
in Not und Fehde geiibt wurde, klingt hier nicht herein. Es herrscht der All-
tag mit seinen Erwágungen des Nutzens; die Saite ist gestimmt auf Vorsicht,
MiBtrauen. Báuerliche Kreise sehen wir vor uns, da und dort mit einem
fiihlbaren Stich ins Kleinbáuerliche, Beengte. Wikingtum und Hofdienst,
diese festlichen Seiten des altnordischen Lebens, bleiben fern. Und dennoch
dieWaffe als der notwendige Begleiter (Strophe 53) unddas starlce Ichgefiihl,
das auf Denkstein und Nachruhm záhlt!
Mit unbeirrter Sicherheit trágt dieser Nordmann seine volkstiimliche Weis-
heit vor. Eine Gesinnung spricht zu uns, die seit Jahrhunderten vom Vater
auf den Sohn gegangen, die selbstverstándlich und triebhaft geworden ist
und die noch nichts ahnt von den Erschiitterungen durch den Glauben
des Siidens.
1
Nach allen Turen,
Eh ein man tritt,
Soll sorglich man sehn,
Soll scharf man schaun:
Nicht weiBt du geWÍB,
Ob nicht weilt ein Feind
Auf der Diele vor dir.
2
Heil den Gebern!
Ein Gast trat ein.
Sagt, wo er sitzen soll!
Nicht bleiben mag,
Wer bei der Brandstelle
Seinen Witz bewáhren soll.
3
Feuer braucht,
Wer fernher kam,
An den Knieen kalt;
Gewand und Speise
Der Wanderer braucht,
Der tibers Hochland hinzog:
4
Wasser braucht,
Wer zur Bewirtung kommt,
TischgruB und Trockentuch,
Gute Meinung,
Wenns vergönnt ihm wird,
Antwort und Aufhorchen.
5
Witz braucht,
Wer weithin zieht:
Daheim behilft man sich!
Augenzwinkern
Der Unkluge weckt,
Der bei Besonnenen sitzt.
6
Mit seinem Verstand
Soll man stolz nicht prahlen,
Vorsicht befolge man;
Wer weise schweigend
Zur Wohnstátte kommt —
Nicht trifft Unglúck den Achtsamen.
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