Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Blaðsíða 1

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Blaðsíða 1
Island als Kulturerlebnis von Reinliard Prinz Viele hundert Deutsche sind in den hellen Sommerwochen iiber das Meer ge- fahren, um Island zu sehen. Wer Grliick hat, dem enthiillt sich gleich bei der Anfahrt auf die Siidkiiste die ganze GroBartigkeit der Insel in einem unvergleich- lichen Anblick: in Sonne gleiBend scheint der machtige Eisdom des Wasser- ferners (Vatnajökull) unmittelbar aus den blaugriinen Fluten sich zu erheben, wáhrend weiter westlich klar gebaute Berge, hellbewachsenes Unterland und dunkle Lava Islands ungeheure Farbigkeit und Formenschönheit verkiinden. Dauernd wie in Tagen der Schöpfung gárendes Reich der Gletscher und Vulkane, breite Ströme und weitgedehnte Lavafelder, brausende Wasserfálle imd feierlich dampfende heiBe Quellen, schwarzblaue Basaltstirnen baumeisterlich gefiigter Berge, leuchtende Táler mit griiner Wiese und Weide, besát mit dem blitzenden Gold und Blau záh bliihender Blumen, begangen von Schafen und Kiihen und von kleinen Pferden mit stámmigem Bug und langstreichender Máhne — dieses Island wird jedem, der auch nur in ein paar fliichtigen Tagen oder Wochen Gröfie zu sehen und zu empfangen vermag, als ein grofies und máchtiges und in seinen Gegensátzlichkeiten einzigartiges Land in der Seele stehen bleiben. Doch ist Island fiir uns heute noch etwas ganz anderes und noch viel mehr als ein Stiick höchstgespannter Natur: Island ist germanisches Schicksalsland, Ziel und Ausgangspunkt germanischen Entdecker- und Freiheitsgeistes, germa- nischer Volksboden, auf dem eine Kulturschöpfung höchsten Ranges erwachsen ist und bis heute in merkwiirdigen Formen weiterlebt. Dies bedeutet uns in der geistigen Wende unserer Zeit so viel, dafi wir uns diesem geistigen Island tief verpflichtet fiihlen. Fiir die meisten von den Vielen, die heute auf einer Sommer- reise Island besuchen, ist das schwer zu fassen. Eine verschwommene Vorstellung von dem Land der Edda und der Sagas im Kopf, suchen sie vergebens nach den sichtbaren Zeugnissen jener grofien Zeit vor tausend Jahren, als auf dieser meer- umbrandeten Insel, tausend Kilometer vom alten Festland entfernt, ein Verband von Herrengeschlechtern norwegischen Stammes einen germanischen Freistaat schuf; damals wurde von hier aus Grönland und von Grönland aus Amerika ent- deckt und besetzt; in den langgezimmerten und mit Schnitzwerk gezierten Hallen 'klangen bei Fest und Gelage dieser grofien Bauern und Krieger die alten Heldenlieder der Goten und Sachsen noch einmal auf, um so allein uns bis heute bewahrt zu bleiben; Island wurde die Heimat der gröfiten Dichter, um deren Dienst die Fiirsten der Nordseelánder sich beneideten und im Munde dieses hoch- begabten Volkes entstand im 11. und 12. Jahrhundert das gröfite Sprachdenk- mal, das jemals ein Verband von Sippen seinem eigenen Geschlechterruhm und 6 Island 65
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