Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Blaðsíða 5

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Blaðsíða 5
Sprachkraft und der daraus sich ergebenden Anteilnahme des gesamten Volkes. Die islandische Benennung der massenhaft hereinströmenden fremdenDinge der neuzeitlichen Technik, Wirtschaft und Mode ist lange Aufgabe staatlich heauf- tragter Sprachamter gewesen. Wo die Arbeit solcher Ámter, die auf Island durch- aus keine Angelegenheit des griinen Tisches ist, ihre natiirliche Grenze findet, haben Dichter und Schriftsteller, so vor allem Halldór Kiljan Laxness, da weiter geschöpft, wo die von auBen her angestoBene neuzeitliche Entwicklung am stárk- sten hervortritt und sich selhst eine neue Sprache geschaffen hat: in der hand- arbeitenden und kaufmánnischen Bevölkerung der Hauptstadt und der stark an- geschwollenen Fischerei- und Handelsorte der Kiisten. Diese Sprache — auf Is- land selbst beriichtigt als ,,Reykjavíkurmál“ — ist naturgemáfi stark durchsetzt mit fremden oder halbfremden Bestandteilen, aber gerade hier zeigt sich die natiirliche Sprachkraft der Islánder vielleicht am deutlichsten: was Halldór Kiljan Laxness z. B. in seinen Biichern von dieser Sprache schriftfáhig gemacht hat, wirkt nicht wie bei uns die Fremdwörter, sondern zeigt ein durch und durch islándisches Gepráge. Wesentlich erleichtert wird dieser Vorgang dadurch, dafi der gröfiere Teil der hier aufgenommenen, urspriinglich nicht islándischen Sprach- teile verwandten germanischen Sprachen entstammt. So ist der Erfolg all dieser Sprachbemiihungen bewunderungswiirdig: Ewiger menschlicher Inhalt in neuest- zeitlicher Umgebung erscheint in den Erzáhlungen und Romanen der Islánder in einer Sprache, die die aus den völlig verwandelten Bediirfnissen eines neuen Jahrtausendbeginnes weitergebildete tausendjáhrige Sprache der Saga ist; und man kannheute neuerschienene Werke sogar der islándischen Wissenschaftdurch- priifen, ohne auf ein einziges fremdes Wort zu stofien. Das ist fiir uns Deutsche, die wir nie mit dem Fremden in unserer mafilos verdorbenen Sprache fiirchten fertig zu werden, etwas fast Unbegreifbares. Aus dieser unerschöpften Sprachkraft und Sprachfreude der Islánder bliiht und gedeiht auch eine Neuschöpfung an Sprachwerken weiter, die den Islándern auch heute noch den Ruf erhált, das Literaturvolk der Welt zu sein. Entschei- dend dabei ist, dafi diese starke Erzeugung nicht nur stattfindet im berufsmáfii- gen Schrifttum, sondern dafi noch in der breiten Menge eine gelegenheitsmáfiige Strophendichtung im Schwange ist, deren feingebaute Vierzeiler in Ernst und Scherz und Hohn die kleinen und grofien Gefiihle und Ereignisse des Tages ein- fangen und oft lange von Mund zu Mund weiter gehen, ehe sie auf das Papier gelangen. Das ist Volkskuust im besten Sinne. Erst seit der letzten Generation gesellen sich auf Island zu dieser Sprachkunst, in der heute wie vor tausend Jah- ren Geist und Gestaltungstrieb dieses Volkes ihren beherrschenden Ausdruck finden, infolge stark veránderter Lebensbedingungen die bildenden Kiinste und die Musik. 69
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