Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Blaðsíða 39

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Sterilisation im áltesten islándischen Recht von Hans Kuhn Die Graugans (Grágás), das álteste islándische Rechtshuch, enthált folgende Be- stimmung: Es ist zulássig, Landstreicher zu entmannen, und es ist nicht strafbar, selbst wenn es dauernden Schaden oder den Tod zur Eolge hat1. Dies ist ein hartes Gesetz, und es hat auf den ersten Blick wenig mit den modernen Gesetzen gemeinsam, die auf Verhinderung unerwiinschten Nachwuch- ses gehen. Und doch steht es ihnen sehr nahe, ja es ist seiner Wirkung nach fast dasselbe. Die Bestimmung der Graugans gehört in ihre reich entwickelte soziale Gesetz- gebung. Fur alle, die sich nicht selbst ernáhren können, ist genau festgesetzt, wer fur ihren Unterhalt zu sorgen hat. Es ist immer zunáchst die Verwandtschaft, und nur wenn diese fehlt oder nicht dazu imstande ist, treten öffentliche Ver- bánde ein, in allererster Linie die weltliche Gemeinde, der hreppr. Diese Gemein- den haben ursprunglich nur diese eine Aufgabe gehabt; sie waren Armenpflege- verbánde. Noch heute ist dies eine ihrer wichtigsten Aufgaben, und ad fara á hrepp, „auf die Gemeinde gehen“, bedeutet „der Armenfursorge anheimfallen“, ohne dafi man bei diesem Ausdruck an irgendeine Gemeinde zu denken braucht. Diese Armenpflege und ihre Gemeinden sind sehr alt, vielleicht schon vorchrist- lich. In den ersten christlichen Jahrhunderten hátte die Bestimmung uber die Entmannung wohl kaum entstehen können. Da sie aber nur im Zusammenhang mit den sozialen Gesetzen ohne weiteres verstándlich ist, ebenso wie die Sterili- sation heute eng mit diesen zusammenhángt, so deutet sie darauf, daB wenigstens ein Kern dieser Gesetze álter ist als die Herrschaft des Christentums. Auch an- deres weist in diese Richtung. Die Verpflichtung, arbeitsunfáhig gewordene arme Leute und verwaiste Kin- der zu versorgen, war fur ihre Verwandten oder fur die Gemeinden, denen sie angehörten, gewiB oft eine Last, aber doch eine, die man als gerechtfertigt emp- fand. Anders war es bei dem landstreichenden Gesindel, das sein ganzes Leben aus anderer Taschen lebte und am Ende noch irgendeiner Gemeinde auf lange Jahre zur Last fallen konnte. Gegen dies Volk gab es manche harten Gesetze, aber es war doch nicht ganz von aller Fiirsorge ausgeschlossen. Die Nachkom- menschaft, die diese Mánner und Weiber in die Welt setzten, konnte ftir ihre Ver- wandten oder fremde Gemeinden zu einer sehr unangenehmen Belastung werden. Kein Wunder, daB man sich vor ihr zu schútzen suehte, und dazu war die Steri- 1 Rétt er at gelda ggngumenn, ok vardar eigi vid l?g þóat þeir fái Orkumbl af eda bana. Grágás Konungsbók Kap. 254, Stadarhólsbók Kap. 117. 101
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