Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Blaðsíða 19
26. Juni 7 Uhr. Wir liegen 24 Stunden im Zelt. Noch immer rast es aus N,
steht auf dem Eingang und meiner Wand. Wir hatten keine Schneemauer gebaut.
Aber daran ist jetzt nicht zu denken. Den ganzen Tag geht es so. Wir liegen
dauernd im Zelt. Heute ist Sonntag.
27. Juni. Montag. Heute morgen sind es 48 Stunden. DrauBen jagt das Wetter.
NW-Sturm und Schnee. Wir mússen liegenbleiben. Der Schnee hat meine Zelt-
wand eingedruckt. Er liegt dort bis zur halben Höhe. Unsere nur 2,5 qm groBe
Liegeflache ist dadurch noch betraclitlich kleiner geworden. Die nasse Wand liegt
auf dem ledernen Schlafsack. Wir können nur mehr auf der Seite liegen. Ich fúhle
einen stechenden Schmerz in der linken Schulter. Heute ist der dritte Sturmtag.
Wie lange wird das noch dauern ? Wir mtissen raus, eine Schneemauer zu bauen.
So geht es nicht weiter. Die Knochen sind ganz steif. Unter Gliederverrenkungen
mússen wir uns im Zelte, das nur 1 cbm Rauminhalt hat, anziehen. Einer nach
dem anderen. Yor dem Zelteingang, der gut dicht gehalten hat, liegt eine dicke
Wehe. In 2 Stunden bauen wir eine hohe Mauer rings um. Dann geht es schnell
wieder ins Zelt. Um 23 Uhr sind es — 4 Grad. Die Zeltwand ist innen mit einer
dúnnen Eisschicht úberzogen.
28. Juni. Um 1 Uhr nachts hat der Sturm plötzlich nachgelassen. Wir sehen
an der Zeltwand, daB die Sonne durchgebrochen ist und hoffen, daB der Sturm
sein Ende erreicht hat. Eine Stunde spater bricht ein erneuter Schneesturm los.
Dienstag, der 4. Tag ist heute. Der Sturm heult von den Kverkfjöll her. Wir
warten immer darauf, daB wir Sonnenstrahlen an der Zeltwand sehen. Aber es
bleibt grau. Wir schlafen oder dösen weiter. Ich sehe nach der Uhr. Sie zeigt
5 Min. nach 1 Uhr und — steht. Sie ist noch aufgezogen. Wir sind, da Keils Uhr
schon seit Tagen ausgefallen ist, ohne Zeit. Ich rúttele, schúttele und arbeite am
Raderwerk. Die Uhr geht nicht. Ist es Tag oder Nacht ? Wahrend ich der Ansicht
bin, die Uhr sei mittags stehengeblieben, glaubt Keil, es sei bereits nachts. Wir
können es nicht entscheiden und mússen geduldig auf die Sonne warten. Der
Sturm fegt weiter úber uns hinweg. Wenn er fúr einen Augenblick nachlaBt, hor-
chen wir jedesmal, ob er sich legt. Ich arbeite immer wieder an meíner Uhr
herum. Der Gedanke, den Rtickmarsch ohne Uhr zurúcklegen zu mússen, beun-
ruhigt. An Instrumenten waren bisher ausgefallen: Der Kilometerzahler, Keils
Uhr, meine Diopterbussole und nun auch die letzte Uhr, nach dem KompaB das
wichtigste Hilfsmittel zur Orientierung. Da entdeckte ich, daB sich die Zeiger
festgehakt hatten. Das muBte wohl durch Druck im Schlafsack gekommen sein.
Sie ging wieder. Dann lioB der Sturm nach, flaute ab. Die Sonne brach durch.
Im Osten! Mit steifen Gliedern krochen wir aus dem Zelt hervor. Es war frúher
Morgen, gegen 6 Uhr. Es muBte Mittwoch der 29. Juni sein. Seit Sonnabend-
morgen hatten wir im Zelte gelegen — 95 Stunden lang. Im Norden, dem Hexen-
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