Milli mála - 01.01.2013, Blaðsíða 104
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andererseits. Letzteres kann als Verlust von Freiheit erlebt werden.
Ein Reisender genießt immerhin den Vorzug, trägt aber auch die
Last des aus den sozialen Strukturen Entlassenen oder Ausbrechenden,
während ein Rückkehrer sich wieder einordnen, seinen Platz suchen
oder akzeptieren und anschließend behaupten muss. Sein Anderssein,
das ihn während der Passage notwendig geprägt hat, ist nach der
Ankunft nicht mehr gefragt. Die in stetig wechselnder Umgebung,
noch dazu in fernen Ländern und fremden Sprachen, als natürlich
empfundene Entfremdung muss bei der Heimkehr abgestreift wer-
den, was eine gewisse Herausforderung darstellt. Manchen Viel-
gereisten gelingt dies nicht und sie praktizieren immer neue Aus-
brüche, indem sie neue Reisen planen. Als Beispiel hierfür kann
Johann Gottfried Seume gelten (Preisendörfer 2012), der im Übrigen
bei seinem Spaziergang von Grimma in Sachsen nach Syrakus eine
ganz ähnliche Strecke zurücklegte wie Tómas Sæmundsson (Seume
1805).
Während der Passage gelten andere Prinzipien als am festen Ort.
Erik J. Leed ist der Ansicht, dass sich die Wahrnehmung des
Subjekts verändert:
Die Ordnung, der die Erfahrung durch die Bewegung unterworfen ist, ist
die Ordnung des „Fortschreitens“, einer Aufeinanderfolge von Ereignissen.
Die Fortbewegung löst jede räumliche Ordnung – Topographie, Standort,
Anordnung, Grenze – in eine empirische Ordnung nacheinander sich
entfaltender Erscheinungen auf. (Leed 1993: 87)
Das reisende Subjekt wählt nicht, wie der am Ort Gebliebene,
selektiv aus, was seiner Wahrnehmung zugeführt wird, sondern
wird, bedingt durch die Bewegung im Raum, mit einer Abfolge
von Sequenzen konfrontiert. Diese generiert eine Struktur der
Wahr nehmung (und später auch der Darstellung), die Leed als „epi-
sche, tagebuchartige Aufzählung von Dingen“ bezeichnet, von
Dingen, die lediglich durch die Bewegung des Reisenden mitein-
ander verbunden sind (Leed 1993: 88). Hinzufügen wäre, dass auch
Assoziationen, Gedankenabfolgen und Verknüpfungen entstehen,
die ohne das Reiseerlebnis nicht miteinander in Beziehung zu brin-
„AUS EINEM BRIEF AUS ISLAND“