Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1917, Qupperneq 15
unlustigen Gáule hinter uns lier. Wir sind offenbar vom ,,Weg“ abgekom-
men. Der Lokalfiihrer ist ratlos. Da er stets nur im Winter hier gewesen
íst, hat er das dann völlig von Schnee eingehiillte Feld nie gesehen, weili
also nicht, wo wir sind. Er stöhnt, im Winter, wenn der dichte Schnee
alles gleich und leicht passierbar mache, sei der Weg viel leichter und
náher. Ögmundurs Augen gliihen im Fieber. Seit er am 9. August die stark
geschwollene Hvalsá nackt zu Pferde durchschwommen hat, um uns Hilfe
zu holen, die wir in dem Schafstall Strandatún eingeschlossen und abge-
schnitten waren, kámpft er heldenhaft gegen immer heftiger werdende Hals-
schmerzen. Alle halbe Stunden schluckt er Antipyrin und vermag sich
kaum im Sattel zu halten. Uber neue Schnee- und Steinfelder keuchen wir
2 km wieder in die Höhe, um uns orientieren zu können. Böse geht es dabei
úber unsere Stiefel her, die Gamaschen reiBen, die Sohlen bekommen Löcher,
und das Oberleder „gáhnt und hat Fenster", wie der Islánder sich aus-
druckt; wir mússen alle im náchsten Hafenplátzchen Þingeyri einen „Schuh-
schmied" aufsuchen, um unsere FuBbekleidung wieder leidlich herstellen zu
lassen, daB sie wenigstens bis Reykjavík aushált; ögmundur muB schimpfend
und fluchend ftir seinen Sohn sogar neue Stiefel kaufen. Es ist die böseste
Kraxelei wáhrend unserer ganzen Reise, und wieviel schwierige Aufstiegt
und Abstiege hatten wir östlich des Drangajökull gehabt, daB wir dachten,
Schlimmeres könne uns nicht mehr begegnen! Wir beteuern uns immer
wieder, daB heute der gráBlichste Tag sei. Was hátte aus uns werden sollen,
wenn plötzlich Sturm oder Nebel uns úberfallen hátten ! Jeder Weitermarscii
wáre dann unmöglich geworden, wenn Wir nicht leichtsinnig unser Leben
aufs Spiel setzen ocler ins blinde Ungewisse hinein táppen wollten, bis ein
verráterischer Spalt unserem Tasten fúr immer ein Ende machte. Ange-
nommen, daB wir hier auf und zwischen den Steinen die Zelte tiberhaupt
hátten aufsclilagen können, um uns stumpfsinnig in unser Los zu ergeben
und zu warten, bis der Aufruhr der Natur sich gelegt hátte, — was sollte
aus unseren armen Pferden werden? Sie jammerten uns am meisten, zumaí
da sie seit aclit Stunden nichts zu fressen gehabt hatten. Gierig stúrzten
sie sich auf das eiskalte Wasser in den Báchen und Flússen, setzten vorsichtig
die FtiBe zwischen die Steine und beschnupperten den Schnee, wenn er
ihnen trúgerisch und zu lose vorkam. Teilnahmlos trotteten wir stöhnend
weiter, daB der SchweiB in Strömen vom Leibe rann, immer ángstliche Blicke
auf ögmundur werfend, ob er es noch aushalten könnte. Es war eigentlich
unverantwortlich leichtsinnig von ihm gewesen, in solchem Zustande úber
die Gláma zu gehen. Aber der Weg wurde wieder leidlich. Gegen 71/'2 Uhr
erreichten wir endlich die ersten steilen Höhen, die den Dýrafjörður auf der
Nordseite umgeben, durchritten ohne Fáhrlichkeit einen neuen NebenfluB
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