Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1917, Síða 21
deutschen Dichtern jener Zeit usw.; aber eine wirklichc Abhángigkeit liegt deshalb
nicht vor.
AIs Indriði Einarsson sein Schauspiel „Das Schiíf sinkt" schrieb (1891—1897), wirkte
selbstverstandlich der Wechsel der Richtung in den Kunstanschauungen auf ihn ein.
Die Zeit der Romantik war langst voriiber und die des Realismus und Symbolismus
an ihre Stelle getreten. Wenn im 3. Akt Brynhild sagt, sie sei mude vom Glúck und
wúnsche zu tráumen, erwidert ihre Mutter: „Ich meinte doch, die Romantik wáre selig
verstorben 1“ Ibsen ist einer der Hauptvertreter des Realismus, und Maeterlinck des
Symbolismus. Doch ist es nicht leicht, die beiden Richtungen scharf zu scheiden.
Ibsen hatte damals bereis geschrieben: Nora (1879), Die Frau vom Meer (1888), Hedda
Gabler (1890), und viele andere; seine Schúler sind úberaus zahlreich, darunter Ger-
hard Hauptmann. Maeterlinck veröffentlichte damals La princesse Maleine (1889), das
kleine Drama L’intruse und Les aveugles (1890). Diese Dramen wurden bald in an-
dere Sprachen úbersetzt und erschienen auch in dánischer Úbersetzung zwei Jahre
spáter (bei Gyldendal).
Indriði wollte ein Bild vom Leben in Reykjavík entwerfen und wie Ibsen auf
die Schattenseiten der Gesellschaft hinweisen, als er sein Drama schrieb. Aber Sigri-
ður ist eine ganz andere Person als die Nora oder Hedda Gabler Ibsens. Nora vcr-
láöt ihren Mann, als sie erkennt, da8 sie im Hause nur eine Puppe gewesen ist, Si-
gríður láBt sich nicht vom Zug des Herzens úberwáltigen, sondern besiegt sich selbst
und opfert um ihrer Tochtcr und der Familie willen hier eigene Zukunft. Andererseits
könnte man Dr. Rank in Nora und den Kandidaten Kristján vergleichen. Dr. Rank ist
ein edler Mann, der Nora Iiebt, aber krank, er stirbt mitten im Drama; er ist das Gegen-
stuck zur Ehe Noras und Helmers, „der bewölkte Hintergrund zu unserem sonnenhellen
Glúck" sagt Helmer. Er hat nur Bedeutung fúr die Entwicklung Noras. Der Kan-
didat Kristján ist ebenfalls ein edler Mann, der Geliebte der Brynhild, und ertrinkt
mitten im Drama. Seine und Brynhilds Liebe ist das Gegenstúck zum ehelichen Un-
glúck der Frau Sigríð und verschárfte ihren Kampf mit sich selbst; tatsáchlich aber hat
Kristján fúr das Drama viel grööere Bedeutung als Dr. Rank bei Ibsen; denn mit ilxm
sterben dic Lebcnshoffnungen dreier Menschen.
Viel eher könnte man Sigríð und Hjálmar Pálsson bei Indriði mit dem Advokaten
Krogstad und Frau Linde in „Nora“ vergleichen. In beiden Fállen haben wir alte
Liebespaare, die aus verschiedenen Grúnden nicht zusammengekommen sind. Sie
treffen sich nach vielen, vielen Jahren und Frau Linde will jetzt, freilich auch um
ihrer Freundin Nora willen, mit Krogstad sich zusammeníinden.
Hjálmar Pálsson sagt im 4. Akt zu Sigriður : „Aber Sie sind so von Natur, daB Sie
das sinkende Schiff nicht verlassen." Ibsen láBt Frau Linde sagen (3. Akt): „Krog-
stad, wenn wir zwei schiffbrúchigen Menschen nur zusammenkommen könnten." Krog-
stad antwortet spáter: „So unglaublich glúcklich war ich noch nie in meinem Leben."
Hjálmar sagt zu Sigríður: Mein Schicksal wúrde mir ein ganzes Meer von Glúck geben,
wenn ich Sie mit mir nehmen darf. — Aber auch hier ist die Verwandtschaft nicht
groB, denn Hjálmar und Sigríður finden sich nicht zusammen. — Andererseits erinnern
die Worte Krogstads (im 3. Akt), da er Frau Linde wieder trifft und die Vergangenheit
wieder aufleben IáBt: „AIs ich Sie verlor, war mir zumute, als ob ich den Boden unter
den FiiBen verlöre", an die Worte, die Sigríður nach dem Tode des Kandidaten
Kristján spricht: „mir war, wie wenn der Boden, auf dem ich stand, mir unter den
FúBen weggezogen wúrde." —- Aber obgleich, wie gesagt, Nora und Sigríður durchaus
verschieden sind, erinnert doch der Kampf mit sich selbst und ihre inneren Qualen
nach dem Tode Kristjáns stark an Nora. —
Frau Sigriður sagt (im 4. Akt): „Ich bin nicht mehr ich selbst. Drei Tage und Náchte
habe ich ununterbrochen gewacht und habe in dieser Zeit die stárksten Erregungen
des Gemiits durchgemacht. Mir ist, wie wenn ich ertrunken wáre, meine ich. AIs Noras
Fálschung der Unterschrift aufgekommen ist, und Helmer ihr verziehen hat, weil Krog-