Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1917, Side 23
wie zwei Schwánen, nach denen ein ungeschickter Schiitze schieCt und nicht triíft;
sie setzen sich auf einen anderen See und singen so schön wie vorher. Das erinnert
einigermaBen an die Tochter irn Hause in „L'intruse" von Maeterlinck, die zu ihrern
Onkel sagt, es musse jemand in den Garten gekommen sein, denn die Schwáne seien
erschreckt úber den See geflogen. Sonst scheint Maeterlinck EinfluB auf die Szenerie
gehabt zu haben, wovon spáter die Rede sein wird.
Welche Erlebnisse im Leben des Dichters in das Drama „Das Schiff sinkt" verwoben
sind, ist augenblicklich nicht Ieicht festzustellen. Jedoch ist kaum zweifelhaft, daB ein
áhnliches Unglúck mit einem Boote in der Náhe des Hafens von Reykjavík, das wenige
Jahre vorher stattgefunden hatte, sich im Schauspiel in dem Ertrinken Kristjáns
wiederspiegelt; dazu stimmen auch einige begleitende Umstánde (das offene Fenster usw.).
Einige eigentúmliche Zúge des Lebens in Reykjavík in jener Zeit finden sich in dem
Stúcke wieder, z. B. die gescháftlichen Verháltnisse; man kann das Vorbild fúr den
Faktor Johnsen leicht finden, ohne aus Björnsons „Fallissement" den Gedanken des
Bankrotts zu entnehmen, wie Kúchler und Poestion dies tun. Die Stadtklatsche (Frau
Thorkelín), die Angst des alten Thorkelín, in die Zeitung zu kommen, die Schilderung
des Balls, der Unterschied zwischen Stadt- und Landleben, und vieles andere ist
durchaus islándisch, wenn auch der Herausgeber des Þjóðólf 1893 und mit ihm
Poestion nichts fúr das islándische Volksleben Charakteristisches in dem Stúcke
finden wollen.
III
Alle Schauspiele sind mehr oder weniger auf Gegensátzen aufgebaut. Die Haupt-
person dieses Stúckes ist Sigríður, in deren Brust Zwei widerstreitende Kráfte
kámpfen. Gegensátze sind daher auch die beiden Personen, die diesen beiden Kráften
entsprechen, Johnsen und Hjálmar Pálsson. So muBte Johnsen ein Iiederlicher Trunkcn-
bold werden, Hjálmar dagegen ein edler, ansprechender Charakter; sein Edelmut zeigt
sich unter anderem darin, daB er Sigríð ihr Versprechen, mit ihm zu gehen, zurúck-
gibt, da er sieht, wie die Verháltnisse in ihrem Hause liegen und sie das sinkende Schiíf
nicht verlassen will. Die Roheit Johnsens erreicht ihre Höhe an der Stelle, wo er be-
trunken nach Hause kommt und an seiner Frau sich vergreift (Ende des 1. Akts). In
diesen Szenen treten die Gegensátze in den Charakteren Johnsens und Hjálmars am
stárksten hervor. Auch der Buchhalter Einar ist ein Gegenstúck zu Johnsen und zu
diesem Zweck eingefúhrt; darum deutet der Anfang des Stúckes die Möglichkeit an,
daB es ihm gelingen könnte, die Familie Johnsens aus allen Schwierigkeiten zu befreien,
was die Spannung der Zuschauer bedeutend steigert. Die Licbe Brynhilds und Krist-
jáns steht im Gegensatz zu der Ehe Johnsens und Sigrfðs, und steigert naturlich
deren inneren Kampf. Auch die beiden Freundinnen, Guðríð und Frau Þorkelín,
sind Gegensátze, die eine eine fúrsorgliche, gútige Freundin, die fúr das Drama
wenig bedeutet, die andere ein boshaftes Weib, das die letzte Hoffnung Johnsens vcr-
eitelt. — Þorkelín hat einige Zúge, die ihn zum Gegenstúck Johnsens machen. —
SchlieBIich haben auch die Studenten Sigurður, Gunnar, Gfsli, besonders der erste
und der letzte, eine ausgeprágte Eigenart. Sigurður ist das Gegenstúck zu Kristján,
unglúcklich in der Liebe: er hált die Rede, die indirekt die Ruderfahrt, Kristjáns Tod
usw. veranlaBt.
Das Drama ist Sehr handlungsreich und dabei ist der Aufbau besonderer Beachtung
wert. Der Verfasser zeigt groBe Vertrautheit mit der Dramendichtung der modernen
groBen Völker und mit der Tragödie der alten Griechen. Der Aufbau ist áhnlich wie
bei Sophokles, dem viele der bedeutendsten Dichter gefolgt sind, wie Schiller in „Maria
Stuart" und „Wallenstein". Der Aufbau ist folgender: Das Stúck beginnt mit dem
Ende; rúckblickend werden die Ursachen aufgezeigt, die das Ende herbeigefúhrt haben.
Bei Indriði Einarsson „sinkt das Schiff" am Anfang des Dramas. Einar Iegt Johnsen
dar, wie die Sache steht: die Schulden sind bedeutend gewachsen, Johnsen trinkt maB-
los, ein Brief ist mit dem englischen Schiff gekommen. Johnsen muB seine Stellung
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