Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1917, Qupperneq 24
veilieren, die Familie löst sich auf; der Verfasser zeigt nun in 4 Akten die Zustánde
im Hause und flicht Ereignisse und Personen ein, die dem Ende entgegenwirken. Das
gibt dem Stuck inneren Halt, der nötig ist, wenn man diese Art des Aufbaus anwendet.
Der Buchhalter Einar zeigt gleich am Anfang seine Fursorge fur die Familie John-
sens; die Hoffnung wird lebendig, er werde ihr aus allem Elend helfen können. Im
2. Akt Iegt Einar Johnsen dar, was geschehen múBte, vor allem múBte eine Veranderung
eintreten, der Handlungsgehilfe Zakarías muB fort, weil er stiehlt, Brynhild muB im
Bureau arbeiten, Johnsen aufhören zu trinken. Um die Schulden zu bezahlen, deren
Bezahlung der Eigentúmer innerhalb weniger Tage verlangt, erbietet sich Einar selbst
fúr 4000 Kronen gut zu stehen; was noch fehlt und das Geld selbst soll sich Johnsen
von seinem Iangjáhrigen Freund Þorkclín verschaffen. So ist die Aussicht nicht
schlecht, es sieht tatsachlich so aus, als ob es Einar gelingen sollte, alles in Ordnung zu
bringen. Der Ball und der Versuch bei Thorkelín ist die Gegenkraft, die dem Ende
entgegenwirkt. Aber der Versuch miBIingt, das Schicksal Johnsens ist entschieden.
Im 3. Akt tritt dieser úberhaupt nicht auf; im 4. Akt tritt der Gegensatz dcr Charaktere
der beiden Eheleute deutlich hervor: Johnsen will sich das Leben nehmen, da er sieht,
daB alle Hoffnung vorbei ist, Frau Sigríður gewinnt den Sieg úber sich selbst.
Vielleicht hat Maeterlinck auf die Szenerie im 2. Akt eingewirkt. Das Gesprách im
Vorzimmer zum Tanzsaal ist ein Abbild des Balles im kleinen. In „La Princesse Ma-
leine" Maeterlincks ist Tanz am Hofe des Königs im 3. Akt und vor den Tanzenden
sprcchen der König und seine Familie miteinander. Am Ende des Aktes klopft es ein
ums andere Mal wunderbar an die Túr, ohne daB jemanddrauBen ist. Das istein Vorbote
des Unglúcks; auch hatte der König in diesem Akte kurz vorher gesagt, er meine, der Tod
werde bald an seine Ture klopfen. Daran erinnert einigermaBen bei Indriði der Stu-
dent Gísli. Als Kristján und seine Gefáhrten sich zur Bootfahrt entschlieBen, sieht
Gísli das Unglúck vorher; er sagt zu Kristján, er sehe das Wasser von seinen Haaren
niedertriefen. Kristján und Gunnar legen dem keinen Wert bei; der Wein, sagen sie,
sei Wahrheit und sie seien innerlich naB! Aber Gísli sieht nach wie vor das Wasser
von den Augenlidern Kristjáns herabtropfen, nachdem dieser hinausgegangen ist. Viel-
leicht erinnert Gísli an den „Hellseher" von Jonas Lie, aber ihn als Vorbild aufzufassen
ist unnötig. Es gibt genug wunderbare Ereignisse und Gesichte in den islándischen
Volkssagen und dem gegenwártigen Leben Islands; Gísli ist also zicmlich islándisch in
seiner Sinnesart. Auf der Búhne macht das bei guter Darstellung groBen Eindruck
und steigert die Spannung der Zuschauer. Maeterlinck hat in dem genanntcn Drama
einc ganze Reihe von Vorboten: Sternschnuppen, Irrlicht, Mondíinsternis u. dgl. Es
ist uberflússig, auf die zahlreichen Vorboten und wunderbaren Ereignisse hinzuweisen,
die sich bei Shakespeare, SchiIIer und Ibsen findcn, um zu beweisen, daB solches fúr
die Auffuhrung groBen Kunstwert hat.
Beinahe im ganzen 3. Akt herrscht Sturm; dieser soll bei den Zuschauern Aufregung
erwecken und sie auf die Trauerkunde von Kristjáns Tod vorbereiten. In dem nám-
lichen Aufzug hört man Leute draufien auf der StraBe laufen, das Gesprách zwischen
Hjálmarsund Sigríðs stockt aufeinmal, Stille herrscht auf derBúhne,gleich darauf fállt die
Túre ins SchloB und man sieht Leute am Fenster vorubergehen. Das alles erinnert stark
an die Art, wie Maeterlinck unbedeutende Kleinigkeiten dazu verwendet, die Unruhe
der Zuschauer zu wecken, um auf das, was drauBen vor sich geht öder bald geschieht,
vorzubereiten. Der Arzt wird aufgeregt in „La Princesse Maleine", obgleich er an
dem, was vor sich geht, keinen Anteil hat, genau wie Hjálmar, wenn er sagt, er sei nicht
abcrgláubisch, aber er wisse nicht, ob er es nach einem solchen Abend nicht werde.
Das kurze Gesprách Hjálmars und Sigríðs unmittelbar bevor Einar mit dcr Trauer-
nachricht kommt, erinnert lebhaft an das Gesprách zwischen dem Vater und den Töch-
tern in „L’intruse", es werde lcalt im Zimmer, es sei nicht möglich die Túr zu schlieBen,
es musse jemand drauBen sein usw.
Hjálmar: Was war das ? Sigríður: Jemand ging an der Túre vorbei.
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