Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1925, Qupperneq 1
MITTEILUNOEN DER
ISLANDFREUNDE
ORGAN
DER VEREINIGUNG DER ISLANDFREUNDE
HERflUSG.: PROF. DR. W.HEYDENREICH IN EISENflCH U. DR. H. RUDOLPHI
IN LEIPZIG / VERLflG VON EUGEN DIEDERICHS IN JENfl
XH.Jahrg. Heft4 ~ April 1925
Dle MITTEILUNGEN DER ISLflNDFREUNDE ersdieinen als Halbjahrssdirift
undwerden den Mitgliedern derVereinigung kostenlos geliefert und vom
Verlage zugesandt.
I. SNORRl STURLUSONS EDDA
Vortrag bei der Hauptversammlung der Islandfreunde am 3. April 1925
in der Universitát. Berlin
I. Snorri, der gröBte Sohn Islands, steht in der Geschichte und Literatur-
entwicklung der Insel als gipfelnder AbschluB der freistaatlichen Zeit, mögen
wir ihn anschauen als Háuptling, als Skalden, als Erzáhler, als historisch-
philologischen Gelehrten. Sein Háttatal iibertrifft alle vorangehenden skal-
dischen Preisgedichte an Umfang und noch mehr an Kunst, die Heimskringla
ebenso alle Sagas und erst recht alle Darstellungen der norwegischen Königs-
geschichte, die Edda aber hat weder als Sagenbuch noch als Poetik ihres-
gleichen und hat ihre sámundische Vorgángerin sicher weit hinter sich ge-
lassen, denn sie hat sie beerbt und entbehrlich gemacht. Snorri ist der ger-
nianische Thukydides und Aristoteles in einer Person, ja man miiBte, um
seiner Vielseitigkeit gerecht zu werden, neben diese beiden noch einen vir-
tuosen und phantasievollen spátgriechischen Dichter stellen, mag jener
auch die theoretische Begabung und Bildung der Athener entbehren und
naiver, weniger bewuBt sein als sie: dafiir ist er der bessere Darsteller, iiber-
haupt der kiinstlerisch Talentiertere und Feinfiihligere, wáhrend er die
wichtige Grundeigenschaft der schönen antiken (nicht mittelalterlichen!)
Sachlichkeit und die unbefangene, antike Uebenskenntnis auf gleicher, er-
frischender Höhe zeigt. Ich bin inir dieser Vorziige der snorronischen Schrift-
stellerei neuerdings neu und deutlicher bewuBt geworden, indem ich in Ver-
bindung mit Niedner die Edda verdeutschte fiir die Sammlung ,,Thule“;
'ias wird die erste vollstándige Obersetzung dieses merkwiirdigen und unter-
Mitt. Jt Istandfreumle XIÍ, 4
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